Bundespräsident Alain Berset (51) hat am Samstag einen ereignisreichen Überraschungsbesuch in Kiew absolviert. Nach zwei Gedenkfeiern und einem Vier-Augen-Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski musste der Bundespräsident wegen eines Raketenalarms in Sicherheit gebracht werden.
«Ich bin hier, um die Solidarität der Schweiz mit der Ukraine zu bekräftigen, jetzt und auf lange Sicht», sagte der Bundespräsident bei seinen Gesprächen.
Kaum hatte er die Unterstützung der Schweiz für die Bemühungen der Ukraine, ihren Weizen trotz der russischen Blockade zu exportieren, betont, mussten der Bundesrat und die anderen anwesenden führenden Politiker die getäfelten und vergoldeten Räume des Präsidentenpalastes eilig verlassen. Mit dabei waren Selenski, die litauische Premierministerin Ingrida Simonyte und der lettische Präsident Edgars Rinkevics.
Ein Marschflugkörper-Alarm, der sich schliesslich als Fehlalarm herausstellte, war über Kiew ertönt, wie es recht häufig vorkommt, wie die Sicherheitsdienste auf Anfrage des vor Ort anwesenden Journalisten von Keystone-SDA mitteilten.
Berset war 20 Minuten im Schutzkeller
Berset und die Schweizer Delegation mussten rund 20 Minuten lang im Untergeschoss des Gebäudes Schutz suchen. Zur Delegation gehörte auch Patricia Danzi, Direktorin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Ihre Sicherheit war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Die ukrainischen Gastgeber verhielten sich während der gesamten Episode jedenfalls sehr ruhig, wie der Journalist von Keystone-SDA berichtete.
Einige Stunden zuvor, kurz vor Bersets Ankunft, hatten die Ukrainer bereits sechs Stunden lang in den Schutzräumen Zuflucht suchen müssen, nachdem Russland Kiew mit rund siebzig Drohnen angegriffen hatte. Diese konnten praktisch alle von der Luftabwehr zerstört werden.
Beratungen über Getreide-Export
Nach diesen Vorfällen konnte der Bundesrat seinen Staatsbesuch mit einem Arbeitsessen mit Premierminister Denys Schmyhal fortsetzen. Dieser empfing ihn nach dem 45-minütigen bilateralen Gespräch mit Selenski. Bei dieser Gelegenheit konnte Berset die Unterstützung der Schweiz für das geschundene Land bekräftigen und die russische Aggression erneut verurteilen: «Diese verursacht Chaos in der Welt, und die Schweiz hat kein Interesse an Chaos», sagte Berset.
Seine Botschaft an Kiew lautete, die Ukraine nicht zu vergessen, trotz der zahlreichen Krisen, die parallel dazu die Welt erschüttern. Berset nutzte seinen nur zwölfstündigen Staatsbesuch auch, um am zweiten internationalen Gipfel zur Ernährungssicherheit teilzunehmen. Dieser war von Kiew initiiert worden. Ziel war es, Durchgangswege, Korridore oder «logistische Alternativen» zu finden, um die Fortsetzung der ukrainischen Getreideexporte in die Welt zu ermöglichen.
Diese Lieferungen sind weitgehend blockiert, seit Russland im vergangenen Sommer seine Teilnahme an der Initiative «Getreide am Schwarzen Meer» aussetzte. Dadurch wurden die Lieferketten weltweit gestört.
Schweiz gibt Ukraine 3 Millionen Franken
Die litauische Premierministerin Simonyte zog dabei Parallelen zu der schrecklichen Hungersnot Holodomor, bei der 1932 und 1933 in der Ukraine zwischen 2,6 und 7 Millionen Menschen (Schätzungen gehen auseinander) ums Leben kamen. Das heutige russische Regime wende die gleichen Methoden an wie das damalige Sowjetrussland unter Josef Stalin, das ihrer Meinung nach und dem Europäischen Parlament zufolge den Völkermord Holodomor inszeniert hatte (eine Version, die von Russland bestritten wird).
Berset kündigte an, dass die Schweiz drei Millionen Franken für das Nahrungsmittelprogramm in der Ukraine bereitstellen wird. Er erinnerte daran, dass die Schweiz kürzlich weitere 100 Millionen Franken für die Unterstützung der Minenräumung, insbesondere in landwirtschaftlichen Gebieten, bereitgestellt hat.
Berset gedachte Opfern in Butscha
Am frühen Morgen, kaum aus dem Nachtzug ausgestiegen, hatte der Bundespräsident in Butscha einen emotionalen Moment erlebt. Die Stadt war im Frühling 2022 Schauplatz eines schrecklichen Massakers der russischen Armee an Zivilisten – eine Version, die vom Kreml trotz zahlreicher Dokumente bestritten wird.
Sein Gang durch die orthodoxe Kirche des Ortes und am Rande des Massengrabs, wo Dutzende von Leichen gefunden worden waren, war von Emotionen geprägt. Berset legte Blumen nieder und sprach kurz mit dem Generalstaatsanwalt Andriy Kostin.
Im Anschluss und noch vor dem Raketenalarm nahm Berset im Nationalmuseum in Kiew an den Gedenkfeiern zur Erinnerung an die Hungersnot Holodomor teil, unter anderem in Begleitung von Selenski und seiner Frau Olena Selenska. Berset stellte eine Kerze auf dem Gelände ab, bevor er seinen Besuch fortsetzte, der letztlich eher einem Sprint als einem Marathon mit Hindernissen ähnelte. (SDA)