Grigory Pivovarov (42) springt aus dem verdreckten Militärtransporter und marschiert im Stechschritt hinüber in ein leerstehendes Haus, wo er und seine Kameraden sich zwischen ihren Kampfeinsätzen verstecken. Sein Blick ist ernst, der Händedruck fest.
Der Elitesoldat, ausgebildet in der israelischen Golani-Brigade, kommt frisch vom Schlachtfeld. Doch Pivovarov bekriegt nicht die Hamas in Gaza. Er kämpft an der ukrainischen Front bei Bachmut. Der Gegner sei derselbe, sagt Pivovarov. Die Russen hätten ihre Finger überall im Spiel, behauptet er. «Aber ich kämpfe lieber in der Ukraine gegen das russische Herz als in Israel gegen die russische Hand.» Dieser Krieg hier, sagt der kleine Mann mit dem dunklen Bart, der sei jetzt wichtiger als alles andere.
Im Donbass nennen sie ihn einfach «den Juden». Pivovarov zieht seine Kampfausrüstung aus, zündet sich eine Zigarette an, raucht hastig und sagt: «Ich habe in der Ukraine noch nie Antisemitismus erlebt. Das ist ein sehr, sehr judenfreundliches Land hier.»
Kampf-Befehl während Blick-Interview
Nach dem Aufstand des ukrainischen Volkes auf dem Maidan 2014 packte Pivovarov seine Koffer und verliess seine Heimat in Richtung Ukraine. Er schloss sich dem berüchtigten Aidar-Bataillon an, das seit Ausbruch des Krieges an den schwierigsten Front-Abschnitten zum Einsatz kommt.
Während des einstündigen Gesprächs gibt der Kommandant via Telefon mehrfach Befehle an seine Truppe durch, die nur wenige Kilometer von hier gegen die anstürmenden Russen kämpft. «Krawa, gib ihnen zwei. Dann 20 Grad nördlich, nochmal zwei!» Pivovarov entschuldigt sich für die Unterbrechung. In der vergangenen Nacht fiel der erste Schnee im Donbass. Der Boden ist nass, die Strassen sind kaputt, die Felder nichts als Matsch.
Als die Hamas am 7. Oktober sein Heimatland angegriffen habe, da habe er schon kurz über eine Rückkehr nachgedacht, sagt der Aidar-Kommandant. «Aber Israel ist gut ausgerüstet. Für mich ist klar: In der Ukraine braucht es mich mehr als in Israel. Wir müssen zuerst hier aufräumen. Dann können wir uns um die russische Hand in Israel kümmern.»
Selenskis Auszeichnung nützt ihm nichts
Grigory Pivovarov lächelt oft, isst und raucht schnell. Einer wie er hat wenig Zeit fürs Vergnügen. Wenn, dann mal Musik, mal ein Ausflug zur Erholung, mal ein Monopoly mit den Kameraden. Und natürlich das gute Essen von Aidar-Koch Victor, der in der Küche Kartoffeln schneidet. Er probiere nie, bevor er serviere, sagt Victor. «Die Jungfrau Maria hat Jesus ja auch unbefleckt empfangen. Wieso soll ich dann nicht auch auf Gott vertrauen?»
Victor lacht, Grigory lacht, ein kurzer Moment der Leichtigkeit in dieser schweren Zeit.
Vor kurzem hat «der Jude» von Präsident Wolodimir Selenski (45) eine Auszeichnung für seinen Mut im Kampf erhalten. Doch der Kampf ist derzeit ein Krampf. Die Russen halten, überrumpeln die Ukrainer mit neuen Menschenwellen. Die Munition wird knapp. Die internationale Unterstützung bröckelt. Dabei wäre jetzt der Moment, wo die Ukraine aus dem Vollen schöpfen können sollte. «Wir müssen der Schlange ein für allemal den Kopf abhacken», sagt Pivovarov. «Es reicht nicht, sie einfach ein bisschen zu verscheuchen.»
Motivation? So hoch wie noch nie!
An der Motivation seiner Männer und Frauen werde es nicht scheitern, sagt er. «Am Anfang des grossen Krieges taten wir einfach unsere Pflicht und hielten sie in Schach. Jetzt aber wollen wir Rache nehmen für alles, was sie uns angetan haben», sagt Pivovarov. Sein Gesichtsausdruck verdüstert sich. Er habe viel Schreckliches gesehen in den letzten Wochen. Das seien brutale Kerle, die da kämen.
«Die Welt sollte uns helfen, diese Hölle hier in der Ukraine zu stoppen. Sonst verschlingt sie bald auch euch», warnt er. Neutralität? Wozu, fragt Pivovarov. «Denkt daran: Auch die Ukraine war neutral bis 2014. Dann hat sie erkannt, was das für Nachbarn sind da drüben. Und bald könnten das auch eure Nachbarn sein.»
Ein Schoggistängeli noch, ein Blick auf die Uhr. Dann steht Pivovarov auf, montiert seine Kampfausrüstung wieder und verschwindet raus in die eisige Kälte. Lange Pausen kann sich in der Hölle keiner leisten.