Schwedens umstrittener Chef-Epidemiologe Anders Tegnell
Würde wieder auf Freiwilligkeit statt drastische Massnahmen setzen

Sollte Schwedens Corona-Strategie, auf die Verantwortung des Einzelnen zu setzen, doch wirksamer sein als ein Lockdown mit grossen Einschränkungen? Schwedens umstrittener Chef-Epidemiologe Anders Tegnell würde auch in Zukunft wieder auf drastische Massnahmen verzichten.
Publiziert: 10.08.2020 um 07:49 Uhr
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Schwedens staatlicher Chef-Epidemiologe Anders Tegnell.
Foto: imago images

Schwedens Chef-Epidemiologe Anders Tegnell (64) gilt als der Architekt der ungewöhnlichen Corona-Massnahmen des skandinavischen Landes. Im Grunde erliess Schweden keine Massnahmen. Das Land setzte auf die Eigenverantwortung seiner Bürgerinnen und Bürger.

Die Infektionszahlen im Land sind – nach einem Aufschwung im Juni – seit Juli rapide gesunken. Fallzahlen von noch täglich 300 statt eben noch 2500 Ansteckungen sprechen dafür, dass das Schweden-Modell nicht so fahrlässig und gefährlich sein könnte wie von vielen befürchtet.

Auch hat das Schweden-Modell, das dem Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen vertraut, weit geringere Schäden in der Volkswirtschaft verursacht als die harten Lockdowns und strikten Massnahmen, wie sie von den meisten Ländern ergriffen wurden. Der «Bild» gab Tegnell Auskunft über das Geheimnis seiner Strategie, die weder Ausgehverbote noch Maskenpflicht kennt.

«Kein Grund, drastischere Massnahmen einzusetzen»

Tegnell sagt nicht, Schwedens System sei besser als jedes andere. Es sei aber «schwedische Tradition, dass wir dem Einzelnen viel Verantwortung geben», so Tegnell. Das funktioniere auch bei freiwilligen Impfprogrammen bestens. Daher habe Schweden «nie einen Grund darin gesehen, drastischere Massnahmen einzusetzen».

Kontrovers seine Ansicht zur Maskenpflicht: Tegnell spricht von «erstaunlich schwachem» Schutz durch Masken. Obwohl auch Maskenpflicht in Ländern wie Spanien und Belgien herrsche, seien die Infektionszahlen hochgegangen: «Zu glauben, dass Masken unser Problem lösen können, ist sehr gefährlich.»

Fehler und offene Fragen

Dennoch hätte es auch Schweden besser machen können. Das Land habe bei der Langzeit- und Altenpflege versagt. Mit besserer Vorbereitung «hätte es weniger Tote gegeben». Inzwischen gebe es jedoch auch dort fast gar keine Neuinfektionen mehr.

Trotzdem sei es schwierig, Schwedens System als das richtige zu bezeichnen. So sind Restaurants und Geschäfte und auch Schulen immer offen gewesen, Kinder hätten nicht wie in Finnland oder Deutschland zu Hause bleiben müssen. Doch «anhand der Daten, die uns vorliegen, können wir nicht sagen, dass das irgendeinen Unterschied für die Pandemie als solche gemacht hat», sagt Tegnell. (kes)

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