Anders Tegnell kämpft um Neubewertung seines schwedischen Sonderwegs
«Keiner kann wissen, wie das endet»

In Schweden pendeln sich die Infektionszahlen ein. Hatte Staatsepidemiologe Anders Tegnell doch recht?
Publiziert: 18.07.2020 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2020 um 10:57 Uhr
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Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell setzt auf Selbstverantwortung statt Lockdown.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Risikoland Schweden. Der Zoff war programmiert, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Skandinavier Ende Juni auf eine Liste der Länder setzte, in denen die Corona-Neuinfektionen so schnell stiegen, dass deren Gesundheitssysteme schon bald wieder an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen könnten.

Anders Tegnell (64), Schwedens Staatsepidemiologe, tobte. Noch am selben Tag ruderte die WHO zurück. In ihrer Richtigstellung erkannte die internationale Organisation an, dass die steigenden Infektionszahlen auf ausgedehnte Tests seit Anfang Juni zurückzuführen seien. Verhältnismässig liege der Anteil positiver Tests nach wie vor bei zwölf bis 13 Prozent. Im Klartext: Die Ansteckungsraten sind stabil.

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Tegnell: «Keiner kann wissen, wie das endet»

Ein wichtiger Sieg für Tegnell, Architekt hinter dem schwedischen Sonderweg. Er kämpft um die Neubewertung seiner Risikostrategie. «Ich freue mich auf eine ernsthaftere Bewertung unserer Arbeit, als sie bisher vorgenommen wurde», sagte Tegnell kürzlich im schwedischen Radio. «Keiner kann wissen, wie das endet.»

Tegnells Anti-Lockdown-Kurs brachte den Skandinaviern weltweit erst viel Bewunderung – und dann sehr viele Tote ein. Nun pendeln sich die Zahlen langsam ein. Während viele Länder nach der Öffnung mit neuen Rekordanstiegen kämpfen, sind Schwedens Neuinfektionen stabil bis leicht sinkend. In der vergangenen Woche lag der Schnitt bei 301 Neuinfektionen pro Tag. Neue Todes- und Intensivfälle kann man sogar an einer Hand abzählen. Zahlt sich Schwedens Strategie doch noch aus?

Schwedische Regierung untersucht Corona-Massnahmen

Ministerpräsident Stefan Löfven (62) steht hinter seinem Staatsepidemiologen. «Diese Strategie ist richtig, davon bin ich völlig überzeugt», sagte der Sozialdemokrat am Donnerstag in einem Interview mit der schwedischen Zeitung «Aftonbladet».

Weil Vertrauen zwar gut, Kontrolle aber besser ist, lässt Löfvens Regierung die schwedischen Corona-Massnahmen untersuchen. Am 30. Juni hat eine unabhängige Corona-Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Sie kann sich Zeit lassen: Erst bis zum 28. Februar 2022 muss sie einen Bericht vorlegen.

Für Tegnell geht es um sein Lebenswerk. Seine gesamte Karriere über arbeitete er in verschiedenen Einrichtungen an der Bekämpfung von Epidemien. Besonders geprägt hat ihn die Bekämpfung von Ebola im Kongo. In das zentralafrikanische Land bestellte er als Erstes 200 Fahrräder. Damit schickte er Medizinstudenten über die Dörfer, damit sie Einheimische über Schutzmassnahmen aufklären. Auch in Schweden setzt er heute auf Aufklärung und Selbstverantwortung.

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Das schwedische Gesundheitssystem kann die Corona-Fälle bewältigen

Tegnell ist jetzt 64. Scheitert sein Risikokurs, hat der sture Epidemiologe keine Chance mehr, den Fehler auszubügeln, sein öffentliches Bild zu korrigieren. Fleissig lässt er testen. Nicht nur auf neue Ansteckungen, sondern auch auf frühere Infektionen. Allein in der Woche ab dem 6. Juli waren es 81'801 Corona-Tests und 64'200 Antikörper-Tests. Tegnell hofft, dass ihn die Geschichte freispricht. Vielleicht auch schon die zweite Welle, vielleicht der Winter.

Wichtig aber ist erst mal: Das schwedische Gesundheitssystem ist nicht an der Belastungsgrenze. Und wird mit dem aktuellen Kurs vermutlich auch nicht mehr daran stossen. Das ist vielleicht die beste Nachricht. Und auch das primäre Ziel, dass alle Länder mit dem Lockdown verfolgten.

Schweden könnte aber, wenn im nächsten Jahr hoffentlich ein Impfstoff verfügbar ist, immer noch weit oben auf der Rangliste der Länder mit den meisten Corona-Toten im Verhältnis zur Bevölkerungsgrösse stehen – aktuell rangieren die Skandinavier sogar vor den USA. 5619 Tote sind es Stand Freitag. Zweieinhalb mal so viele pro 100'000 Einwohner wie in der Schweiz.

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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