Schwedens Top-Epidemiologe stellt Corona-Strategie in Frage
Herdenimmunität bleibt für Anders Tegnell ein Rätsel

Schweden ist bei der ersten Corona-Welle nicht in einen Lockdown gegangen. Viele Infektionen – kein Grund zur Panik, so die Devise. Doch wie die angestrebte Herdenimmunität funktioniert, ist heute sogar für Staatsepidemiologe Anders Tegnell schwer zu verstehen.
Publiziert: 02.12.2020 um 15:54 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2021 um 15:11 Uhr
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Abkehr vom Laissez-faire? Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell bei einer Pressekonferenz zum Coronavirus.
Foto: imago images/TT

Die Herdenimmunität wird das Problem von selbst erledigen. Dies war zu Beginn der Corona-Epidemie die Hoffnung der Schweden. Das Land ging nicht wie alle andern in einen Lockdown, nahm damit höhere Infektions- und Todeszahlen als in den Nachbarländern in Kauf.

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Wie der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell (64) laut der Nachrichtenagentur Bloomberg nun an einer Pressekonferenz sagte, bleibt die Funktionsweise der Corona-Immunität jedoch rätselhaft. Tegnell sagte, es sei immer noch nicht klar, inwieweit die Übertragungsraten reduziert werden, wenn mehr Menschen dem Virus ausgesetzt waren. Dies sei «sehr schwer» zu verstehen, sagte er.

Nur zehn Prozent in Stockholm mit Antikörpern

In Schweden sind die Übertragungsraten im Herbst erneut stark angestiegen. Dies lässt Zweifel daran aufkommen, dass sich tatsächlich die erhoffte Herdenimmunität einstellt.

Laut Experten müssen 55 bis 82 Prozent einer Bevölkerung infiziert oder geimpft sein, damit Herdenimmunität erreicht wird. Die schwedische Gesundheitsbehörde veröffentlichte im Juni Daten, die zeigen, dass im landesweit am schwersten getroffenen Gebiet in Stockholm nur etwa zehn Prozent der Menschen Antikörper gegen Corona entwickelt hatten.

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«Es ist offensichtlich, dass es die Übertragung verlangsamt», sagte Tegnell am Dienstag. «Aber es war schwierig zu verstehen, wie gross dieser Effekt ist und wie er gegen andere Faktoren, welche die Übertragung beschleunigen, gewichtet werden sollte.» Die Abwägung zwischen diesen Einflüssen sei möglicherweise anders ausgefallen, «als ich und viele andere glaubten».

Regierung erliess Kontaktbeschränkungen

Ein Teil der Schwierigkeit bei der Vorhersage des Immunitätsgrades liegt laut Tegnell in der Annahme, dass viel mehr Menschen infiziert waren, als offizielle Daten zeigten. «Was wir von Anfang an versucht haben, ist, die Übertragung so gering wie möglich zu halten, und zwar mit Massnahmen, die so wenig nachteilige Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit wie möglich hatten», sagte Tegnell. «Und das tun wir immer noch.»

Die schwedische Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven (63) hat die Corona-Schraube angesichts der Infektionszahlen in der zweiten Welle unlängst angezogen: Neu dürfen sich in der Öffentlichkeit nur noch maximal acht Personen treffen. In den Restaurants herrscht Sitzpflicht, um 22.30 Uhr wird geschlossen. Maskenpflicht wurde jedoch keine eingeführt. (noo)

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