Anders Tegnell (64) hält in Sachen Corona nichts von Länder-Vergleichen. «Wir verbringen zu viel Zeit damit, zu vergleichen, wie verschiedene Länder mit dem Coronavirus umgegangen sind, statt vorwärts zu machen und uns damit abzufinden», kritisierte Schwedens Staatsepidemiologe am Mittwoch in einem Video-Interview mit der britischen TV-Sendung «Peston». «Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich so viel von anderen Ländern lernen können.»
Unter dem umstrittenen Staatsepidemiologen Tegnell ging Schweden im vergangenen Frühjahr den Corona-Sonderweg – setzte statt Lockdown nur auf «Empfehlungen» und besserte trotz steigender Fallzahlen und vielen Todesfällen nur mit wenigen Regeln nach. Erst im Herbst verschärfte Schweden die Massnahmen ein wenig.
Tegnell: Erfahrungen austauschen ja, nachmachen nein
Tegnell setzte offen auf Herdenimmunität und bewarb den schwedischen Sonderweg in der ganzen Welt. Nicht nur in den Nachbarländern Norwegen und Finnland, sondern auch etwa in Brasilien – obwohl dort das Gesundheitssystem viel schwächer ist. Besonders intensiv war der Austausch mit Grossbritannien. Auch die Briten setzten anfangs auf Herdenimmunität, machten aber angesichts steigender Fallzahlen schnell einen Rückzieher.
Bei «Peston» sagte Tegnell nun in Bezug auf Grossbritannien, jedes Land habe unterschiedliche Voraussetzungen. Es sei zwar immer gut, Erfahrungen auszutauschen – «aber die Massnahmen aus einem erfolgreichen Land einfach irgendwo anders anzuwenden, funktioniert bei dieser Krankheit nicht».
In Schweden dürfen Bars und Restaurants im Gegensatz zur Schweiz offen haben – wenn sie die Social-Distancing-Regeln einhalten. Nur der Alkoholausschank ist beschränkt. Im öffentlichen Nahverkehr gilt eine Empfehlung, zumindest zu Stosszeiten eine Maske zu tragen. Die Schweden haben aktuell täglich rund 29 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner (7-Tage-Durchschnitt) und damit rund anderthalbmal so viele wie die Schweiz. (kin)