«Schockierend, barbarisch und altmodisch»
Diese verbotenen Waffen entlarven Russlands brutale Kriegsstrategie

Die «New York Times» hat Hunderte von Fotos aus dem Kriegsgebiet analysiert. Viele der Waffen, die Russland einsetzt, scheinen nach internationalem Recht verboten. Die Recherchen zeigen, wie wertlos internationale Verträge und Vereinbarungen in Zeiten von Krieg sind.
Publiziert: 20.06.2022 um 02:10 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2022 um 08:47 Uhr
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Grosses Leid in der Ukraine. Internationale Konventionen würden den Schutz der Zivilbevölkerung vorsehen und den Einsatz von insbesondere Streumunition verbieten. Daran hält sich Russland nicht.
Foto: Keystone

In aufwendiger Recherchearbeit hat die «New York Times» mehr als 2000 verschiedene Waffenarten identifiziert, die Russland seit Beginn des Krieges in der Ukraine eingesetzt hat. Die meisten davon scheinen ungelenkte Waffen zu sein. Ihre Zerstörungen sind unkontrolliert. Zudem sind 210 der identifizierten Munitionsarten durch internationale Verträge in den meisten Ländern der Welt verboten.

Bei vielen der identifizierten Waffen handelt es sich demnach um Streumunition, die unkontrollierte Zerstörung anrichten und noch Jahrzehnte nach Kriegsende eine grosse Gefahr für die Bevölkerung darstellen können. Etwa 20 Prozent dieser «Bomblets» detonieren nicht beim Aufprall, sondern explodieren viel später. Laos beispielsweise leidet noch Jahrzehnte nach Ende der Indochinakriege unter solchen nicht explodierten Sprengkörpern, die sich im Boden befinden und noch immer Menschen töten. Doch sowohl Russland als auch die Ukraine haben das entsprechende Übereinkommen über Streumunition nicht unterzeichnet.

Das humanitäre Völkerrecht und internationale Verträge wie die Genfer Konvention von 1949 würden zudem vorschreiben, dass im Krieg lediglich legitime militärische Ziele angegriffen werden dürfen. Kämpfer dürfen keine unverhältnismässigen Angriffe durchführen, bei denen der Schaden für die Zivilbevölkerung in keinem Verhältnis zum zu erwartenden militärischen Vorteil steht. So schreibt es das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vor. Angriffe also dürfen nicht wahllos durchgeführt werden. Doch Gesetze, internationale Verträge und Abmachungen sind meist eines der ersten Kriegsopfer.

Kriegsverbrechen am Laufmeter

Laut der Unmengen von Dokumenten, die Journalisten und Spezialisten ausgewertet haben, wurden in der Ukraine bislang mehr als 330 Waffenarten offenbar gegen oder in der Nähe von zivilen Einrichtungen eingesetzt.

Viele dieser ungelenkten russischen Waffen aus der Zeit des Kalten Krieges sind in der Lage, viel weiter zu schiessen, als das menschliche Auge reicht – und damit viele Kilometer über den Punkt hinaus, an dem ein Soldat das mögliche Ziel sehen kann. Die Folge sind immense, wahllose «Kollateralschäden» – Zerstörung, Tod, Leid in der Zivilbevölkerung.

Humanitäre und völkerrechtliche Abmachungen haben in der Kriegsstrategie Moskaus keinen Platz. «Die Russen haben fast täglich gegen jedes einzelne dieser Prinzipien verstossen», wird Mike Newton zitiert, Rechtsdozent und Experte für Kriegsverbrechen an der US-Universität Vanderbilt. «Nur weil ich eine Waffe habe, heisst das nicht, dass ich sie auch benutzen kann.»

«Schockierend barbarische und altmodische Kriegsstrategie»

Die «New York Times» hat akribisch recherchiert. Fotos und Erklärungen erläutern im Detail, wie sich die russischen Streitkräfte an keinerlei Kriegskonventionen zu halten scheinen. Die skelettartigen Überreste von explodierten Raketen und nicht explodierten Kleinbomben werden analysiert.

Während der Kämpfe von 2014 im Donbass habe auch die Ukraine Streumunition eingesetzt, heisst es. Seit Beginn der Invasion am 24. Februar deute aber alles darauf hin, dass ausschliesslich russische Truppen diese Waffen einsetzen – mit Ausnahme eines einzigen bekannten Einsatzes, der ukrainischen Streitkräften zugeschrieben wird.

«Mit einer schockierend barbarischen und altmodischen Kriegsstrategie haben die russischen Streitkräfte ukrainische Städte und Ortschaften mit einem Sperrfeuer von Raketen und anderer Munition bombardiert», folgern die Spezialisten der renommierten Zeitung. «Die meisten von diesen Waffen können als relativ plumpe Relikte des Kalten Krieges betrachtet werden, von denen viele nach internationalen Verträgen weitgehend verboten sind.» (kes)

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