Von der Verfolgung russischer Militärbewegungen über die Verbindung ukrainischer Truppen auf dem Schlachtfeld bis hin zur Identifizierung humanitärer Korridore und der Sammlung von Beweismaterial für die Verfolgung von Kriegsverbrechen – kommerzielle Satelliten sind ein integraler Bestandteil der ukrainischen Verteidigung gegen Russland.
Kaitlyn Johnson, Expertin für Weltraumkrieg und stellvertretende Direktorin am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, sagt zu Blick: «Maxar und Starlink haben eine grosse Rolle bei der Bekämpfung der russischen Desinformation gespielt.» Denn dank der Bilder konnte die Ukraine die Wahrheit über die von den russischen Truppen begangenen Massenvernichtungen und Gräueltaten verbreiten, aber auch einen strategischen Vorteil ausarbeiten.
Für Russland ein Ärgernis. Denn es verfügt selbst nicht über eine solche Technik. Kein Wunder also, dass es bereits vor der Invasion Störsender eingesetzt hat, am 24. Februar folgte dann ein erfolgreicher Schlag gegen das Satellitenunternehmen ViaSat, das die Kommunikation der ukrainischen Regierung sicherstellt. Auch Starlink von Elon Musk (51) war schon Angriffen von Störsendern ausgesetzt.
Wirklich erfolgreich waren diese Angriffe zwar nicht, aber Johnson warnt: «Ich gehe davon aus, dass Russland auch weiterhin bodengestützte Angriffe auf Satelliten durchführen wird.» Ein Beamter des russischen Aussenministeriums hat Ende Oktober gedroht, dass kommerzielle Satelliten nochmals ein «legitimes Ziel für Vergeltungsmassnahmen werden könnten».
Experten sprechen bereits vom «ersten kommerziellen Weltraumkrieg» – doch was bedeutet das? Laut Johnson gibt es mehrere Möglichkeiten, wie Russland weltraumgestützte Infrastruktur angreifen könnte: Cyberangriffe, bodengestützte Störsender, Weltraumwaffen und Antisatellitenwaffen (ASAT) – also Raketen, die von der Erde aus gestartet werden und einen Satelliten in seiner Umlaufbahn abschiessen oder in dessen Nähe detonieren.
Was passiert, wenn Russland Satelliten abschiesst?
Im letzten November testete Russland ein solches ASAT-Modell und sorgte damit international für Aufruhr – bei dem Test wurde zum ersten Mal weltweit tatsächlich ein Satellit getroffen. Dabei entstanden laut «Arms Control» 1500 Trümmerteile in der niedrigen Umlaufbahn, die den Weltraumbetrieb und die bemannte Raumfahrt gefährdeten. Astronauten der Internationalen Raumstation ISS mussten mehrmals Schutz suchen, um nicht getroffen zu werden. «Die Trümmer, die durch diesen gefährlichen und unverantwortlichen Test entstanden sind, werden nun Satelliten und andere Weltraumobjekte bedrohen, die für die Sicherheit, die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen aller Nationen für die nächsten Jahrzehnte lebenswichtig sind», sagte US-Aussenminister Antony Blinken (60) damals.
Damals griff Russland seinen eigenen «Cosmos 1408» an, der seit 1982 in Umlauf war. Einen Raketenangriff Russlands auf Satelliten anderer Länder hält Johnson nicht für möglich – dafür hat Russland zu wenige solcher Raketen. Denn um die Systeme von beispielsweise Maxar und SpaceX signifikant zu stören, müsste man die Satelliten-Konstellationen grossflächig angreifen. Auch wenn ein Angriff durch ASAT-Raketen aktuell nicht für möglich gehalten wird: Die Störsender und Cyberangriffe, die zu Beginn des Krieges eingesetzt wurden, führen ebenfalls schon zu grossen Problemen.