Russland droht wegen Nato-Bewerbung mit Atomwaffen an der Ostsee – kommts zur Invasion?
Die Finnen spielen mit dem Feuer

Weil Finnland eine Nato-Mitgliedschaft anstrebt, herrscht im Kreml grosser Ärger. Kommts auch im Norden Europas zu einer Invasion? Experte Ulrich Schmid schätzt die Lage ein und der finnische Botschafter Valtteri Hirvonen erklärt, wie sein Land nun vorgeht.
Publiziert: 15.04.2022 um 19:45 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2022 um 06:23 Uhr
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Die finnische Armee hat in den vergangenen Jahren aufgerüstet.
Foto: AFP
Guido Felder

Innert weniger Wochen wollen die Finnen entscheiden, ob sie der Nato beitreten – ein Spiel mit dem Feuer. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich in Umfragen die Zustimmung von 30 auf 60 Prozent verdoppelt. Stimmt das Parlament zu, rechnet Ministerpräsidentin Sanna Marin (36) damit, dass Finnland schon in weniger als einem Jahr Nato-Mitglied sein wird.

Ein weiteres Nato-Land als direkter Nachbar? Für den Kreml pure Provokation. Es ist einer der Hauptgründe, warum Russlands Präsident Wladimir Putin (69) in die Ukraine einmarschiert ist. Denn die Ukrainer hatten sich entschieden, sowohl eine Nato- als auch EU-Mitgliedschaft anzupeilen.

Prompt folgten auf die Ankündigung Finnlands scharfe Reaktionen aus Moskau. Dmitri Medwedew (56), ehemaliger Präsident und Premierminister und heute Chef des Sicherheitsrates, drohte am Donnerstag mit der Stationierung von Atomwaffen an der Ostsee, falls Finnland und auch Schweden der Nato beitreten wollten.

«Angriff wäre gigantischer Eskalationsschritt»

In den vergangenen Tagen tauchten Fotos auf, die russisches Militärgerät – vermutlich Raketen des Typs K-300P Bastion für die Küstenverteidigung – bei Wyborg zeigten. Die Bilder wurden vor einem Strassenschild gemacht, das in Richtung der finnischen Hauptstadt Helsinki zeigt und rund 35 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt liegt. Nur eine Routineübung oder eine Drohgebärde?

Trotz der Aggressionen im Osten sehen Beobachter zurzeit keine Gefahr eines Angriffs auf Finnland. «Der Kreml hat im Moment für einen solchen Fall kaum Handlungsoptionen», sagt Russland-Experte Ulrich Schmid (56) von der HSG in St. Gallen zu Blick. Für Russland wäre eine weitere Front militärisch sehr schwer zu stemmen. Auch ein Stopp der Energielieferungen – Finnland bezieht über 90 Prozent seines Gases aus Russland – stehe kaum zur Diskussion, da sich damit Moskau ins eigene Fleisch schneiden würde.

Finnen litten wie die Ukrainer

Der Einmarsch in die Ukraine weckt bei den Finnen böse Erinnerungen. Nachdem sie sich 1917 vom Russischen Reich losgelöst und einen eigenen Staat gegründet hatten, versuchte die Rote Armee unter Diktator Josef Stalin (1878-1953) im Jahre 1939, sich das Gebiet wieder einzuverleiben.

Die weit unterlegene Armee der Finnen kämpfte jedoch tapfer und fügte den Russen schwere Verluste zu: Man spricht von rund 27’000 getöteten Finnen und 127’000 Sowjet-Soldaten. Es gelang den Finnen, ihr Land zum grössten Teil zu verteidigen, sie mussten aber den Russen im Osten Teile von Karelien abtreten.

Aus Solidarität zu den Finnen gründete der Schweizer Major Gubert von Salis 1946 in Zürich die Schweizerische Vereinigung der Freunde Finnlands (SVFF), die Geld spendete und Studien ermöglichte. Sie ist heute noch aktiv.

Die finnische Regierung erklärte sich während des Kalten Krieges bereit, neutral zu bleiben und erhielt dafür aus Moskau Garantien, dass es nicht einmarschieren würde. Die erzwungene Neutralität des Landes, die darauf abzielte, den grossen Nachbarn zu besänftigen, prägte den Begriff «Finnlandisierung». Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wird immer wieder von diesem Modell als mögliche Lösung gesprochen. (gf)

Der Einmarsch in die Ukraine weckt bei den Finnen böse Erinnerungen. Nachdem sie sich 1917 vom Russischen Reich losgelöst und einen eigenen Staat gegründet hatten, versuchte die Rote Armee unter Diktator Josef Stalin (1878-1953) im Jahre 1939, sich das Gebiet wieder einzuverleiben.

Die weit unterlegene Armee der Finnen kämpfte jedoch tapfer und fügte den Russen schwere Verluste zu: Man spricht von rund 27’000 getöteten Finnen und 127’000 Sowjet-Soldaten. Es gelang den Finnen, ihr Land zum grössten Teil zu verteidigen, sie mussten aber den Russen im Osten Teile von Karelien abtreten.

Aus Solidarität zu den Finnen gründete der Schweizer Major Gubert von Salis 1946 in Zürich die Schweizerische Vereinigung der Freunde Finnlands (SVFF), die Geld spendete und Studien ermöglichte. Sie ist heute noch aktiv.

Die finnische Regierung erklärte sich während des Kalten Krieges bereit, neutral zu bleiben und erhielt dafür aus Moskau Garantien, dass es nicht einmarschieren würde. Die erzwungene Neutralität des Landes, die darauf abzielte, den grossen Nachbarn zu besänftigen, prägte den Begriff «Finnlandisierung». Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wird immer wieder von diesem Modell als mögliche Lösung gesprochen. (gf)

«Ein Angriff auf Finnland wäre ein gigantischer Eskalationsschritt», sagt Schmid. Der Kreml könnte eine Invasion nicht – wie in der Ukraine – mit «der historischen Einheit des russischen Volkes» begründen, obwohl Finnland bis 1917 Teil des Russischen Reiches war.

Schmid verweist weiter auf eine Abmachung zwischen Helsinki und Moskau: «Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes reiste der sowjetische Ministerpräsident nach Helsinki und erklärte dort, dass ein solches Vorgehen in Finnland undenkbar sei.»

Finnland hat aufgerüstet

Die beiden Länder teilen sich eine 1340 Kilometer lange Grenze. Nach der Annexion der Halbinsel Krim durch die Russen 2014 hat Finnland mit der Aufrüstung begonnen und die Armee von 230’000 auf 280’000 Soldaten aufgestockt. In diesen Tagen wurde entschieden, weiter aufzurüsten.

Der finnische Botschafter in Bern, Valtteri Hirvonen (60), sieht sein Land heute gut gerüstet, um die eigene Sicherheit zu verteidigen. «Seit der Ukraine-Invasion haben Finnland und Schweden die Zusammenarbeit weiter intensiviert», schreibt er Blick auf Anfrage aus den Ferien, die er zurzeit in Finnland nahe der russischen Grenze verbringt.

Was die angestrebte Nato-Mitgliedschaft betreffe, könne von einer Provokation gegenüber Putin keine Rede sein, meint Hirvonen. Der Botschafter schreibt: «Es ist übrigens bemerkenswert, dass der russische Aussenminister Lawrow noch am 14. Januar in einem Interview gesagt hat, dass Finnland und Schweden ihre mögliche Nato-Mitgliedschaft souverän treffen könnten.»

Finnland steht bereit

Auch wenn es zu Provokationen komme – Hirvonen erwähnt Cyberangriffe, Desinformation und Luftraumverletzungen – sei Finnland militärisch sehr gut vorbereitet. Es sei zwar im Moment offensichtlich, dass ein Grossteil der russischen Kräfte in der Ukraine gebunden sei. «Man darf aber dennoch das jetzige russische Militärpotenzial in der Nähe Finnlands keinesfalls unterschätzen.»

Der weitaus grösste Teil der Finninnen und Finnen sei bereit, Finnland zu verteidigen – auch mit militärischen Mitteln. Der Zulauf zur Landesverteidigung sei enorm. Hirvonen: «Ich bin also sehr zuversichtlich, dass Finnland möglichen Bedrohungen gut standhalten kann.»

Hat es Putin nun auf Finnland abgesehen?
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Auslandredaktor Guido Felder:Hat es Putin nun auf Finnland abgesehen?
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