Auf einen Blick
- Desertierter Atomwaffen-Offizier enthüllt brisante Details über nukleare Bedrohung
- Stützpunkt in voller Kampfbereitschaft, Soldaten eingeschlossen und nur Staatsfernsehen erlaubt
- 350 Deserteure pro Monat fliehen mithilfe der Organisation Idite Lesom
Anton* war einst Offizier in einer streng geheimen Atomwaffenanlage in Russland. Dokumente, die die BBC sichten konnte, bestätigen seine Einheit, seinen Rang und den Stützpunkt. Inzwischen ist er aus der russischen Armee desertiert und hat brisante Details über die nukleare Bedrohung Russlands enthüllt.
Wie Anton dem britischen TV-Sender berichtete, sei der Atomwaffenstützpunkt, auf dem er diente, am Tag der russischen Invasion im Februar 2022, in volle Kampfbereitschaft versetzt worden. «Wir waren bereit, die Truppen zu Wasser und in der Luft einzusetzen und theoretisch einen Atomschlag auszuführen.»
«Ich habe meine Pflichten erfüllt»
Diese Aussage deckt sich mit Putins öffentlicher Ankündigung eines «besonderen Kampfdienstmodus» für die nuklearen Abschreckungskräfte kurz nach Kriegsbeginn.
In den ersten Kriegswochen herrschte Ausnahmezustand auf dem Stützpunkt, bis Kremlchef Wladimir Putin (72) den Alarmzustand aufhob, so Anton. «Wir waren im Stützpunkt eingeschlossen. Wir hatten nur das russische Staatsfernsehen. Ich wusste nicht wirklich, was das alles bedeutete. Ich habe meine Pflichten automatisch erfüllt.»
«Das Land verfügt über ein enormes Atomwaffenarsenal»
Zudem widersprach der Deserteur westlichen Experten, die Russlands Atomwaffen als veraltet einstufen: «Das Land verfügt über ein enormes Atomwaffenarsenal, eine riesige Menge an Sprengköpfen und führt ständige Kampfpatrouillen zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch.» Die Instandhaltung der Waffen laufe ununterbrochen.
Antons Schilderungen geben ausserdem einen seltenen Einblick in die streng geheimen Abläufe der russischen Atomstreitkräfte. Er berichtet von strikten Kontrollen auf dem Stützpunkt, mit regelmässigen Lügendetektortests und Handyverbot.
Es sei dort wie in einer geschlossenen Gesellschaft, so Anton weiter, «es gibt dort keine Fremden. Wenn Sie möchten, dass Ihre Eltern Sie besuchen, müssen Sie drei Monate im Voraus einen Antrag beim Sicherheitsdienst des FSB einreichen.»
Dann kam es zu Bruch
Als er sich weigerte, kriegsverherrlichende Propaganda zu verbreiten, geriet Anton in Konflikt mit seinen Vorgesetzten: «Sie sagten, ukrainische Zivilisten seien Kämpfer und müssten vernichtet werden! Das ist für mich eine rote Linie – es ist ein Kriegsverbrechen.»
Als Strafe sollte er an die Front versetzt werden. Daraufhin desertierte Anton mithilfe der Organisation Idite Lesom, die Kriegsdienstverweigerern bei der Flucht hilft. Laut der Gruppe ist die Zahl der Deserteure auf 350 pro Monat gestiegen.
Ein Leben im Geheimen
Trotz der Gefahren für Deserteure – mindestens einer wurde bereits getötet – will Anton weiter Soldaten zur Flucht verhelfen: «Mir ist klar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie versuchen, mich umzubringen, umso grösser wird, je öfter ich das tue.»
Obwohl Anton schon seit längerem Russland den Rücken gekehrt hat, wird er dort aber seiner Aussage nach immer noch von den Sicherheitsdiensten gesucht: «Ich treffe hier Vorsichtsmassnahmen, arbeite schwarz und erscheine in keinem offiziellen System.»
*Name geändert