Für Wladimir Putins (70) Truppen läuft es an der Front alles andere als rosig. Es scheint, als hätten sich die russischen Streitkräfte noch nicht von der herben Niederlage in Cherson erholt. Statt zum Gegenschlag auszuholen, gehen sie nämlich weiterhin in Deckung und bereiten sich gar auf weitere Rückschläge vor. Dies berichtete der britische Geheimdienst.
Ständige Misserfolge an der Front, der Rückzug aus Cherson, sinkende Moral: Immer mehr entsteht der Eindruck, dass Russland schlechte Karten hat, den Krieg noch für sich zu entscheiden. Dieser Meinung sind offenbar auch weite Teile der russischen Elite, wie das kremlkritische Nachrichtenportal Meduza erfuhr. Für viele ist klar: «Wir haben den wahren Krieg verloren.»
Rückzug aus Cherson sei eine Schande
Bei den Quellen des Nachrichtenportals handelt es sich um Personen, die nicht nur dem Kreml im Allgemeinen, sondern auch der russischen Präsidialverwaltung nahestehen. Sie bezeichnen den Rückzug aus dem strategisch wichtigen Cherson als «sehr schmerzhaftes Ereignis». Einem Politiker der nationalistisch-konservativen Partei Einiges Russland zufolge wird der Vorfall in Cherson im Volk als «Schande und Folge des Durcheinanders im Staat» wahrgenommen.
Angesichts der sich häufenden militärischen Niederlagen zeige sich die russische Elite zunehmend besorgt und stelle auch «die völlige Verschlossenheit der obersten Führung des Landes» infrage. «Wir sind in nichts eingeweiht, wir erfahren viel aus den Nachrichten, sowohl aus der Ukraine als auch aus dem Westen. Es sieht so aus, als ob wir ständig Zugeständnisse machen und trotzdem versuchen, dies zu verbergen», so eine regierungsnahe Quelle zum Portal.
Ein Geschäftsmann aus dem inneren Kreis des Kreml-Machthabers Putin geht gar noch einen Schritt weiter: «Es besteht Einigkeit darüber, dass wir den eigentlichen Krieg verloren haben.» Die Menschen würden anfangen, darüber nachzudenken, wie sie ihr Leben leben wollen, welchen Platz sie in der Zukunft einnehmen wollen, welche Einsätze sie machen wollen. Der Informant ist sich zudem sicher: «Es wird sicher revanchistische Stimmen – also Menschen, welche die militärische Niederlage gewaltsam vergelten wollen – geben.» Auch mit der Forderung nach Normalisierung und Stabilisierung sei zu rechnen.
Kreml hofft, dass Konsens im Westen zusammenbricht
Vertreter der Politik der Präsidialverwaltung sind dem Nachrichtenportal zufolge optimistischer eingestellt. Der Kreml hoffe nach wie vor, dass der Konsens im Westen wegen der Energiekrise «zugunsten der Ukraine zusammenbricht». Andere in der russischen Regierung malen sich eine dramatische Veränderung in der Ukraine – wie der Rücktritt des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (44) aus. Eine solche Veränderung könnte dem Kreml dann in die Hände spielen. Wie die Informanten auf solche Szenarien kommen, bleibt Meduza zufolge unklar.
Zudem erhoffe man sich, dass die russische Armee durch die weitere Mobilmachung kampfbereiter wird und dadurch das Blatt auf dem Schlachtfeld wieder gewendet werden kann. (dzc)