Am liebsten wäre Wladimir Putin (69) wohl ein Blitzkrieg gewesen. Er liess seine Truppen von allen Seiten aus angreifen, damit die Ukraine keine stabile Verteidigung aufbauen konnte.
Von diesem Vorgehen erhoffte er sich wohl einen schnellen Sieg. Diesen haben auch die meisten Experten erwartet, unter anderem wegen der klaren Unterlegenheit der ukrainischen Armee.
Doch nun leisten die Ukrainer schon seit mehr als einer Woche unerbittlichen Widerstand gegen die russischen Truppen. Diese werden allerdings immer aggressiver und skrupelloser. Am Donnerstag haben sie mit Cherson die erste ukrainische Grossstadt eingenommen.
Wie lange können die Ukrainer jetzt noch dagegenhalten?
Das dürfte davon abhängen, wie viel Nachschub an Panzer- und Luftabwehrwaffen die Ukraine demnächst erhält, erklärt Sicherheitsexperte Andreas Jödecke (63) vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze gegenüber dem «Spiegel».
Der Krieg in der Ukraine sei nämlich entgegen allen Erwartungen nicht wirklich ein Hightech-Krieg, sondern werde hauptsächlich immer noch auf dem Schlachtfeld ausgetragen.
«Russen werden Kampftätigkeit steigern»
Putin setzte vor allem auf seine Panzer. Laut Jödecke seien diese zwar schwer zu stoppen, könnten aber kein Gebiet halten. Dafür bräuchte es seiner Meinung nach mehr Bodentruppen. Die Ukrainer schiessen deshalb aus dem Hinterhalt und versuchen, die feindlichen Schützenpanzer mit selbstgebastelten Molotowcocktails anzuzünden.
Wie lange diese Taktik aber noch funktioniert, sei fragwürdig. Der Sicherheitsexperte geht davon aus, dass Putin demnächst noch mehr Truppen in die Ukraine schicken werde. «Ich vermute, die Russen werden auf Putins Befehl hin jetzt die Kampftätigkeit steigern, auch durch die Einführung der bisher noch nicht eingesetzten Kräfte».
«Keine Möglichkeit, das Gefecht für sich zu entscheiden»
Auch die aus der Distanz agierenden Kräfte wie Kampfjets und Artilleriegeschütze dürften in Zukunft weniger Skrupel haben. Allerdings verschlechtert sich die Stimmung in der russischen Armee zunehmend, da es an Nahrung fehlt und viele auch davon ausgegangen waren, dass sie nur an einer Übung teilnehmen werden.
Einige russische Soldaten sollen gemäss Medienberichten gar ihre eigenen Panzer sabotieren, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Die Ukrainer hingegen erhalten Mutzusprüche aus der ganzen Welt. Präsident Selenski (44) hat es geschafft, sein Land für den Widerstand gegen Russland zu begeistern.
Dennoch: Laut Jödecke haben sie nur eine geringe Chance, den Krieg tatsächlich zu gewinnen. «Militärisch haben die tapferen Ukrainer auf Dauer keine Möglichkeit, das Gefecht für sich zu entscheiden», so der Sicherheitsexperte. «Aber sie beeindrucken durch ihren Willen, sich nicht von den Russen überrennen zu lassen.» (obf)