Ukrainische Regierungsvertreter und Beamte bereichern sich am Krieg. Diesen Eindruck vermitteln die Korruptions-Skandale im Umfeld ukrainischer Machtzirkel, die in den vergangenen Tagen bekannt wurden. Präsident Wolodimir Selenski (45) reagierte mit zahlreichen Entlassungen, um das Vertrauen in die Regierung zurückzugewinnen. Nur die Spitzen der Ministerien bleiben vorerst unberührt.
Das Problem ist nicht neu: Die Ukraine ist eines der korruptesten Länder in Europa. Das wird Jahr für Jahr etwa von Transparency International festgestellt. Im globalen Antikorruptions-Ranking der Organisation von 2021 landete die Ukraine auf Rang 122 von 180. Den ersten Platz auf der Rangliste teilen sich Dänemark, Finnland und Neuseeland. Die Schweiz folgt auf Rang 7.
Ombudsmann wurde mit Meldungen bombardiert
Mark Pieth (69), Strafrechtsprofessor und Antikorruptions-Experte aus Basel, beschäftigte sich in der Vergangenheit eingehend mit der Korruption in der Ukraine. Als Wiktor Janukowitsch (72) noch Präsident war, präsidierte Pieth eine Gruppe, die für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) ein Konzept für einen Antikorruptions-Ombudsmann in der Ukraine erstellte. Das war noch vor den Maidan-Unruhen zwischen November 2013 und Februar 2014. «An ihn konnte man sich wenden, wenn man von öffentlichen Stellen zur Zahlung von Schmiergeldern gezwungen wurde», sagt Pieth. «Damals waren die meisten Funktionäre korrupt.»
Um eine möglichst grosse Unabhängigkeit zu gewährleisten, wurde ein Ausländer für den Posten bestimmt. «Er bekam in der Folge Tausende von Meldungen», erklärt der Experte weiter. Die Ombudsstelle blieb auch nach den Maidan-Unruhen aktiv, zuletzt unter der Führung eines ebenfalls ausländischen Nachfolgers. «Leider musste dieser wegen des Krieges aus der Ukraine fliehen.»
Auswirkungen von Krieg und westlicher Hilfe noch unklar
Laut Pieth ist es schwierig zu sagen, was sich seit Kriegsbeginn sonst alles verändert hat. «Ich schätze, dass die Menschen aufgrund der Notsituation jetzt weniger Korruption dulden als zuvor. Das Problem ist jedoch, dass man während des Krieges andere Prioritäten hat als die Korruptionsbekämpfung.»
Dass Korruption in der Ukraine ein riesiges Problem ist, bestätigt auch Sonia Thurnherr (35) von der Genfer Unternehmensberatung Global Risk Profile. Thurnherr und ihre Mitarbeiter geben jedes Jahr ihren eigenen Korruptions-Index heraus. «Von den 45 europäischen Ländern und Gebieten, die in der Analyse berücksichtigt werden, ist die Ukraine das zweitkorrupteste, knapp vor dem Kosovo», sagt Thurnherr. Wie sich der Krieg und die westliche Hilfe auf die Korruption im Land auswirken, kann sie noch nicht sagen.
Künstlich überhöhte Preise, Bestechungsgelder
Im Zentrum der neusten Korruptions-Skandale stehen überteuerte Nahrungsmitteleinkäufe der Armee und künstlich aufgeblähte Preise für vom Staat bezahlte Generatoren. Zahlreiche Regierungsvertreter und Beamte stehen im Verdacht, sich illegal bereichert zu haben.
So schloss das Verteidigungsministerium einen Vertrag zur Verpflegung von Armeeeinheiten ab, bei dem im Vergleich zum Supermarkt zwei- bis dreimal so hohe Preise vereinbart wurden. Der Vizeminister für Regionalentwicklung, Wasil Losinski (40), wurde dabei erwischt, wie er 400'000 US-Dollar entgegennahm. Er soll zusammen mit weiteren Verdächtigen für die hohen Generatoren-Preise gesorgt haben. Von verschiedenen Firmen soll die Gruppe dafür mehrere Millionen Dollar unter der Hand erhalten haben.