Regierungswechsel in Israel
Bibis letzter Dienst?

Publiziert: 06.06.2021 um 13:11 Uhr
Simone Stern, Moderatorin Blick TV.
Foto: Geri Born
Simone Stern

«Bibi, ma ata omer?», singt Eden Ben Zaken, eine beliebte israelische Popsängerin: 26 Jahre jung, blond, eine Stimme wie aus Zuckerwatte.

Auf die Frage «Bibi, was denkst du?» antwortet der 71-jährige Premierminister in tiefem Vibrato: «Ich bin voller Liebe, und sie wird gewinnen.» Wenn diese Liebe Netanyahus Regierung sein soll, stimmt dies wohl bald nicht mehr. Es sei denn, die zwölf Jahre alte Regierungs-Karawane zieht wundersam durch das Land der Wüste Negev weiter.

Aber warum singt Bibi überhaupt? Könnt ihr euch vorstellen, Ueli Maurer an der Seite von Fabienne Louves rocken zu sehen? Bibi tat dies für eine Wohltätigkeitsorganisation und um seine Popularität vor Hanukkah zu steigern. Wie wir jetzt sehen, sechs Monate nach Hanukkah, brachte das Lied politisch nicht viel. Aber es zeigt einmal mehr, wie ungern der oberste Likudnik die Smolenskinstrasse in Jerusalem verlassen möchte.

Einfallslos ist Netanyahu nicht, das muss man ihm lassen. Was er auf jeden Fall hinterlässt, ist eine gespaltene Gesellschaft. Meine linksliberalen Freunde in Tel Aviv schauen mit zögerlicher Vorfreude in die politische Zukunft Israels. Meine konservativen Kollegen in Haifa bangen, zu Recht, um die Sicherheit eines – meiner Meinung nach zu Unrecht – verhassten Landes. Wenn Bibis Abgang die Welt dazu bewegte, das Land Israel, seine Menschen und seine Kultur von der reinen Politik zu trennen, könnte Netanyahu kaum einen besseren letzten Dienst leisten. Denn nur in Israel kann ein klar rechter Bennett mit einem eher linken Lapid und der arabischen Ra'am-Partei eine Koalition bilden. Das ist die israelische Essenz: Vielfalt, Widersprüchlichkeit, Durchsetzungsvermögen. Die Parteien könnten nicht unterschiedlicher sein. Sie vereint einzig ihre Entschlossenheit gegen Netanyahu. Somit würde er das Amt in einer Position verlassen, die jeder Mensch jüdischer Herkunft kennt: als Sündenbock. Wenn der Rest der Welt Israel jetzt durch eine menschlichere Linse betrachten könnte, gäbe es keinen würdigeren Abgang für Bibi.

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