Rechtsnationale bei erster Runde vorne
In der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich liegt das rechtsnationale Rassemblement National ersten Hochrechnungen zufolge vorne. Es kam gemeinsam mit seinen Verbündeten auf 34 bis 34,2 Prozent, wie die Sender TF1 und France 2 am Sonntag nach Schliessung der Wahllokale berichteten.
Das Mittelager von Präsident Emmanuel Macron landete demnach mit 20,3 bis 21,5 Prozent auf Platz drei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire mit 28,1 bis 29,1 Prozent. Wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung bekommen, wird aber erst in Stichwahlen am 7. Juli entschieden.
Tausende demonstrieren gegen extreme Rechte
Nach dem starken Abschneiden des Rassemblement National bei der ersten Runde der Parlamentswahl haben Tausende Menschen in Frankreich gegen die extreme Rechte demonstriert. In Paris und etlichen anderen Städten gingen am Sonntagabend viele Menschen auf die Strasse und demonstrierten gegen die Partei von Marine Le Pen und einen Rechtsruck in Frankreich.
In der Hauptstadt versammelten sich die Demonstranten nach einem Aufruf des neuen Linksbündnisses auf dem Place de la République. Auch führende Linkspolitiker schlossen sich dem Protest dort an.
Auch in Nantes, Dijon, Lille und Marseille kam es zu Kundgebungen und Protestmärschen. In Frankreichs drittgrösster Stadt Lyon kam es nach Medienberichten zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei. Barrikaden wurden errichtet und Beamte mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Auch einige Schaufenster gingen zu Bruch.
Premier Attal: «Moralische Pflicht»
Frankreichs Premierminister Gabriel Attal ruft dazu auf, eine Regierungsübernahme durch das rechtsnationale Rassemblement National (RN) mit allen Mitteln zu verhindern. «Unser Ziel ist klar, es geht darum zu verhindern, dass das Rassemblement National im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit erlangt, die Nationalversammlung dominiert und das Land mit seinem verhängnisvollen Projekt regiert», sagte Attal am Sonntag in Paris. «Noch nie in unserer Demokratie war die Nationalversammlung wie heute Abend dem Risiko ausgesetzt, von der extremen Rechten dominiert zu werden.»
Keine Stimme dürfe an das Rassemblement National gehen, sagte der Premier nach dem starken Abschneiden der Partei von Marine Le Pen in der ersten Runde der Parlamentswahl. «Unter solchen Umständen verdient Frankreich, dass man nicht zögert, niemals», sagte Attal. «Wenn wir dem französischen Schicksal gewachsen sein wollen, ist es eine moralische Pflicht, alles zu tun, um das Schlimmste zu verhindern.»
Die Herausforderung des zweiten Wahlgangs bestehe darin, eine absolute Mehrheit der extremen Rechten zu verhindern und mit den republikanischen Kräften Mehrheiten für Projekte und Ideen zu schaffen. Das Präsidentenlager werde seine Kandidaten bei der Stichwahl in den Wahlkreisen zurückziehen, in denen sonst der Sieg eines RN-Kandidaten möglich werde, sagte Attal.
«Heute Abend ist der Sieg in Sicht»
Der umstrittene Vorsitzende von Frankreichs konservativer Partei Les Républicains, Éric Ciotti, hat alle Konservativen aufgerufen, sich seinem viel kritisierten Schulterschluss mit dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen anzuschliessen. «Heute Abend ist der Sieg in Sicht», sagte Ciotti nach dem starken Abschneiden des RN und der Républicains-Kandidaten, die sich mit Ciotti für eine Unterstützung des RN entschieden hatten.
«Die historische Union, die wir mit Jordan Bardella aufgebaut haben, hat langen Jahren der Unbeweglichkeit der Rechten ein Ende gesetzt», sagte Ciotti. «Dieses Ergebnis ist ein grosser Erfolg. Die Franzosen haben mit ihren Stimmen ihren Wunsch nach Veränderung und Wechsel zum Ausdruck gebracht.»
Unabgestimmt mit seiner Partei hatte Ciotti eine Kooperation mit Bardella und dem RN vereinbart, woraufhin führende Kräfte der Partei mehrere Anläufe starteten, um ihn aus der Partei zu werfen. Ein Gericht stoppte diesen Vorstoss zunächst.
«Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe für Frankreich zu verhindern»
Der führende französische Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann hat für den zweiten Durchgang der Parlamentswahl in Frankreich zu einem entschiedenen Kampf gegen die Rechtsnationalen aufgerufen. «Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe für Frankreich zu verhindern», sagte Glucksmann am Sonntagabend.
«Das ist keine Parlamentswahl mehr, das ist ein Referendum. Wollen wir (...), dass die Rechtsextreme erstmals in unserer Geschichte über die Wahlurnen an die Macht gelangt?»
«Das einzige Ziel der Woche»
Glucksmann, der Spitzenkandidat der französischen Sozialisten bei der Europawahl war, sagte, es gehe nicht mehr um politischen Zugehörigkeiten. Überall dort, wo Kandidatinnen und Kandidaten des gemeinsamen Linksbündnisses auf Platz drei gelandet seien, werde man die Kandidatur zurückziehen und dazu aufrufen, für die Person in dem Wahlkreis zu stimmen, die den Kandidaten von Marine Le Pens Rassemblement National schlagen könne.
Glucksmann versicherte, es gebe von linker Seite kein Zögern. «Das einzige Ziel der Woche ist es zu blockieren, um eine absolute Mehrheit des Rassemblement National zu verhindern.»
Macron ruft zu Zusammenschluss gegen Rechtsnationale auf
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat für die zweite Runde der französischen Parlamentswahl zu einem Zusammenschluss gegen das rechtsnationale Rassemblement National aufgerufen.
Es sei die Zeit für einen grossen, klar demokratischen und republikanischen Zusammenschluss angesichts der Partei um Marine Le Pen gekommen, hiess es unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen der ersten Wahlrunde am Sonntagabend aus dem Élyséepalast.
Häufig werden in Frankreich vor der zweiten Wahlrunde lokale Bündnisse geschlossen, die den Wahlausgang verändern können. Partei sprechen sich dann ab, in bestimmten Wahlkreisen zur Wahl eines Kandidaten einer anderen politischen Strömung aufzurufen.
Wahrscheinlich keine absolute Mehrheit
Erste Prognosen gehen davon aus, dass Marine Le Pens Rechtspopulisten und ihre Verbündeten im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden könnten. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen könnten sie aber vorbeischrammen.
Auch die Linken könnten zulegen und auf 125 bis 200 Sitze kommen. Macrons Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken. Genaue Aussagen zur Sitzverteilung sind bisher aber schwierig. Vor der zweiten Wahlrunde können die Parteien noch lokale Bündnisse schmieden, die den Wahlausgang beeinflussen.
Zähe Verhandlungen um Koalition?
Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Er hatte darauf gesetzt, mit der vorgezogenen Neuwahl die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte im Unterhaus auszubauen. Das scheint nun äusserst unwahrscheinlich. Sollte Prognosen zufolge keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Verhandlungen um eine Koalition.
In Frankreich begann am Sonntag die erste Runde der richtungsweisenden Parlamentsneuwahlen. Bis Sonntagmittag gab bereits jeder vierte Wahlberechtigte seine Stimme ab. Die Beteiligung um 12 Uhr lag bei 25,9 Prozent, wie das Innenministerium mitteilte. Das waren 7,47 Prozentpunkte mehr als zum selben Zeitpunkt bei der vorangegangenen Parlamentswahl vor zwei Jahren.
Kein Wunder – denn es geht ums Ganze: Nach den Europawahlen Anfang Juni rief der französische Präsident Emmanuel Macron (46) Neuwahlen für das Parlament aus, da die extreme Rechte Frankreichs bei den EU-Wahlen über 30 Prozent der französischen Stimmen ergatterte. Eine Schlappe für Macrons Partei «Renaissance». Und Macron ist ein Mann, der eigentlich an Erfolg gewöhnt ist. Er gründete mit 30 Jahren eine politische Partei, gewann die Präsidentschaft mit 39 und gewann sie fünf Jahre später erneut.
Bei einer solchen Erfolgsbilanz muss sich eine Niederlage schmerzhaft anfühlen. «Macron verliert die Nerven», titelte etwa die «Süddeutsche Zeitung» nach Bekanntgabe der spontanen Wahlen. Hinter Macrons Kurzschluss-Idee steckt jedoch ein grösserer Plan. Aber hat er sich verrechnet?
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Neuwahlen sind grosses Risiko
Macron ist äusserst unbeliebt bei den Franzosen. Das weiss er auch selbst. Die Menschen «haben das Gefühl, dass man ihnen nicht zuhört oder sie nicht respektiert», gab er Anfang Juni zu. Zwei Jahre nach Beginn seiner zweiten Amtszeit und bei noch drei ausstehenden Amtsjahren sind die Bewertungen von Emmanuel Macron nicht gerade grossartig: 65 Prozent Ablehnung, 34 Prozent Zustimmung. Seit dem Verlust seiner absoluten Mehrheit in der Assemblée nationale im Jahr 2022 hat er zu kämpfen. Mit dem Rechtsrutsch in Europa und auch in Frankreich wird es also nur noch schwieriger für den Liberalen.
Umso logischer also die Erklärung, dass die Neuwahlen eine Übersprungshandlung waren. Es ist ein unberechenbarer – und vielleicht ungestümer – Weg, den er eingeschlagen hat. Denn es besteht die Möglichkeit, dass er dazu führt, dass einer seiner meistgehassten Rivalen grosse Macht erhält: Marine Le Pen (55), Präsidentin der als rechtspopulistisch bis rechtsextrem eingestuften Partei Rassemblement National (RN).
Macron will die Rechte «entzaubern»
Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Doch laut Analysten wie Richard Corbett, einem britischen Politiker und Wissenschaftler, könnte genau das Macrons Plan sein. «Ich frage mich, ob Macron denkt, dass, wenn die RN gut abschneiden, er lieber Premierministerin Le Pen unter sich hat, solange er noch Präsident ist», so Corbett zu «Sky News». «Wenn in drei Jahren die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen, wird der Glanz von ihr abgefallen sein. Sie wird Fehler gemacht haben, und die Leute werden gesehen haben, dass sie Fehler gemacht hat.»
Macron nennt es die «Entzauberung» der Rechtspopulisten. Ein schwieriges Unterfangen. Denn mit Jordan Bardella (28) hat Le Pen einen gemässigten Zögling. Der Politiker ist beliebt bei jungen Wählern, geht auf Distanz zu Russland und gibt sich stets höflich und gefasst – anders, als die radikalen Politiker der RN-Vergangenheit. Bardella macht den RN salonfähig, aktuell würden 33 Prozent der französischen Wähler ihm eine Stimme geben, sollte er sich auf das höchste Amt Frankreichs bewerben.
Der französische Präsident hat sich verrechnet
Gelingt es der Partei von Le Pen tatsächlich, bei diesen Parlamentswahlen von ihren derzeitigen 88 Sitzen auf eine absolute Mehrheit von 289 Sitzen zu kommen, würde sie eine rechtsextreme Regierung bilden und Macron müsste sich die Macht teilen. Ebenso könnte die RN die meisten Sitze gewinnen, aber die absolute Mehrheit verfehlen. Macron könnte sich dann mit einem Parlament konfrontiert sehen, das nicht in der Lage ist, eine stabile Mehrheit zu bilden.
Innen- sowie aussenpolitisch wäre Macron dann im ständigen Kampf mit Le Pens Leuten. Am Sonntag zeichnet sich ein solches Szenario ab – wenn auch nicht ganz so extrem wie bisher angenommen: Umfragen sahen klar das RN und dessen Verbündete vorne. Sie könnten in der ersten Runde auf 36 bis 36,5 Prozent kommen, schreibt Keystone-SDA. Macrons Lager hingegen sahen die Umfragen abgeschlagen auf Platz drei, mit nur 20 bis 20,5 Prozent.
Wie genau das Parlament nach der Wahl aussehen wird, ist ungewiss. Die wenigsten der 577 Sitze werden im ersten Durchgang vergeben. Entscheidend sind in vielen Wahlkreisen die Stichwahlen in der zweiten Runde am nächsten Sonntag. Auch wenn Aussagen über die zweite Runde schwierig sind, gehen Prognosen davon aus, dass die Rechtsnationalen stärkste Kraft in der Nationalversammlung werden könnten. Ob es auch für eine absolute Mehrheit reichen könnte, ist unklar – aber Macrons Mitte-Lager dürfte Sitze verlieren. Der französische Präsident scheint sich also klar verkalkuliert – und sein eigenes politisches Ende eingeläutet zu haben.