Frankreichs Zukunft und die des Euro stehen auf dem Spiel. Das Land wählt an den kommenden zwei Wochenenden ein neues Parlament. Und einen Namen wird man sich merken müssen. Gemeint ist nicht Jean-Luc Mélenchon (72), der Linksextreme, nicht Marine Le Pen (55), sondern das politische Wunderkind Jordan Bardella (28), der Parteiführer der rechtsgerichteten Partei Rassemblement National (RN).
Ihm und der Partei werden in Umfragen ein Wahlsieg vorhergesagt. Und so richtet sich derzeit Europas Aufmerksamkeit auf Bardellas Milliarden Euro schweres Wahlversprechen. Sie haben das Zeug, den Euro in die Krise zu stürzen.
Bardella verbrachte seine Kindheit in bescheidenen Verhältnissen. Er wuchs in der Pariser Agglo in einer Sozialwohnung auf. Seine Mutter war alleinerziehend. Er trainierte Kampfkunst und war später Youtuber für Onlinegames. Seitdem weiss er, wie man mit der französischen Unterschicht der Wählenden spricht.
Dank guter schulischer Leistung und einem Stipendium wurde er an die Universität Sorbonne gehievt, unter anderem belegte er das Studienfach politische Geografie. So kam er zur Politik, wurde zum Politassistenten in Brüssel und 2019 zum EU-Abgeordneten im EU-Parlament.
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Nun will er Macrons Partei Ensemble besiegen und die RN zum Sieg führen, ähnlich wie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (47) vor zwei Jahren in Italien gesiegt hat. Bardellas Ziehmutter Marine Le Pen zieht im Hintergrund die Fäden.
Milliardenschwere Wahlversprechen
Bardella verspricht seinen Wählern, die verhassten Treibstoff-Steuern zu vierteln. Damit appelliert er an die Anhänger der Gelbwesten-Proteste von 2019, die das Land wochenweise in Unruhe stürzten. Kostenpunkt: 13,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Er will die Einkommenssteuern um 10 Prozent senken. Das kostet weitere 10,5 Milliarden Euro. Darüber hinaus liebäugelt Bardella mit einer Annullierung von Macrons Rentenreform, die das Eintrittsalter von 62 auf 64 Jahre hinaufsetzte. Und er verspricht, die Minimalrente zu erhöhen. Kostenpunkt: saftige 17 Milliarden Franken.
Schliesslich spekuliert er mit Plänen über eine Verstaatlichung des französischen Autobahnnetzes. Die sehr hohe Maut der Nationalstrassen ist ein Dauerbrenner der französischen Innenpolitik. Einmal Lyon retour kostet das Doppelte der schweizerischen Jahresvignette. Die Gelbwesten-Bewegung legte mehrere Mautstellen in Brand. Bardella weiss, wo die Unzufriedenen abzuholen sind.
Laut der Ökonomen der Allianz-Versicherung kosten alle Wahlversprechen total 74 Milliarden Euro, pro Jahr rund 18 Milliarden. Das Staatsdefizit Frankreichs würde im Zuge der Umsetzung seiner Pläne auf horrende 6,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung steigen. Zur Erinnerung: Erlaubt wären laut EU-Stabilitätskriterien 3 Prozent. Und so wird die Wahl plötzlich sehr europäisch.
Kommt Bardella durch und würde er zum Ministerpräsidenten und 2027 vielleicht Macron als Präsidenten ersetzen, dürfte die Stabilität der Euro-Währung erschüttert werden. Der Schweizer Franken geriete dann erneut zur Fluchtwährung, wie 2011. Damals, während der Euro-Krise ab 2011, hat die Nationalbank wegen des Aufwertungsdrucks einen Mindestwechselkurs zum Euro eingeführt und später Negativzinsen.
Ratingagenturen erwägen Abwertungen
Die Anlegerschaft reagiert bereits heute. In Erwartung einer instabilen Regierung haben seine Pläne und die der Linksextremen die französischen Staatsanleihen bereits unter Druck gesetzt. Ende Mai hat die Ratingagentur S&P Frankreich bereits herabgestuft, unter anderem mit der Begründung der politischen Fragmentierung. Die Ratingagenturen Moody’s und Finch erwägen derzeit ein Downgrading der Staatsanleihen.
Untrügerische Anzeichen sind erhöhte Risikozuschläge bei den Renditen von Staatsanleihen. Die Entwicklung ist die gleiche, wie sie in der Frühphase der Euro-Krise ab 2010 im Fall der Staatsanleihen von Griechenland, Portugal und Italien eingesetzt hat. Bis zum Sommer 2012 sind die Risikoaufschläge in extreme Höhen geschossen. Erst als die Europäische Zentralbank im Sommer 2012 erklärt hat, unter strengen Bedingungen die Anleihen der Länder zu stützen, hatte sich die Lage beruhigt.
Ohne dieses Versprechen, das die EZB damals nicht einlösen musste, wäre die Neuverschuldung der Länder angesichts der Zinsaufschläge unbezahlbar geworden. In der Folge waren die Länder gezwungen, ein radikales Sparbudget aufzusetzen, massiv Staatsstellen abzubauen und Staatsunternehmen zu verkaufen, um finanziell zu überleben. Doch Frankreich ist wirtschaftlich und machtpolitisch ein ganz anderes Kaliber.
Dass sich Frankreich von Brüssel oder der EZB reinreden lassen würde, ist derzeit unwahrscheinlich. Frankreich wankt jetzt auch nicht. Auch ist dem Wahlgewinner Bardella zuzutrauen, dass er sich nach einer Wahl und in der Regierungsverantwortung, etwa als Ministerpräsident, deradikalisieren wird.
Eine Wandlung vom Saulus zu Paulus hat es dort immer wieder gegeben. Und Frankreich als Gründungsland des Euro kann es sich nicht leisten, die Stabilität der europäischen Leitwährung ernsthaft zu gefährden.
Frankreichs Zoff mit Brüssel
Abseits der Wahlrhetorik hat Frankreich bereits heute ein grosses Problem mit der Staatsverschuldung. Sie liegt bei 112 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. «Die Zinslastquote, das ist der Anteil der Staatseinnahmen für Schuldzinszahlungen, ist derzeit bei 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts und dürfte schon bald auf über 5 Prozent steigen», sagt UBS-Chefökonom Daniel Kalt.
Dieser Umstand hat Frankreich kürzlich ein Strafverfahren der EU-Kommission wegen des Verstosses gegen EU-Stabilitätsregeln eingebracht. Mit steigenden Risikozuschlägen dürfte jede neue Ablösung von Staatsanleihen zu noch höheren Zinszahlungen führen.
«Der Parteiführer verlangt eine radikale Kürzung der französischen EU-Beiträge um 2 bis 3 Milliarden Franken jährlich.»
Sollte Bardellas Partei eine starke Minderheit anführen, dürfte sich das Verhältnis von Paris mit Brüssel stark abkühlen, denn der Parteiführer verlangt eine radikale Kürzung der französischen EU-Beiträge um 2 bis 3 Milliarden Franken jährlich von insgesamt 21,6 Milliarden Franken. Dies errechnete vor Kurzem das Magazin «The Economist».
Die Folgen für die Schweiz
Sollte die künftige französische Regierung auch nur einen Teil ihrer Wahlversprechen einlösen, so ginge es in Europa hoch zu und her, und auch die Schweiz hätte erhebliche Währungsturbulenzen zu verkraften.
«Insbesondere die Verschuldungssituation Frankreichs dürfte sich nicht zum Besseren wenden, da die notwendige Budgetkonsolidierung in praktisch allen Szenarien erschwert würde», sagt Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile.
Dadurch stiege die Gefahr von Turbulenzen an den Finanzmärkten auch für die Schweiz: Der Euro schwächt sich ab, was entsprechend den Franken aufwertet. «Der Währungskanal stellt für die Schweiz wirtschaftlich die grösste Bedrohung dar», sagt der Raiffeisen-Experte.
Kalt sagt, die UBS rechne derzeit eher mit einer politischen Einmittung Bardellas «ähnlich wie Meloni in Italien» vor zwei Jahren. Auch Hasenmaile geht von diesem Szenario aus. Würden extreme Parteien in die Regierungspflicht eingebunden, müssten sie «einerseits von extremen Positionen abrücken» und würden anderseits politisch entzaubert.
Neue Massnahmen der SNB?
Doch dies ist das optimistische Szenario. Das weniger optimistische sei eine Negativspirale von Verschuldung und Anlegervertrauen, sagt UBS-Ökonom Kalt, die die Zinslast massiv steigern und Frankreich finanzpolitisch in die Bredouille bringen könnte.
Die UBS rechnet mit einem turbulenten zweiten Halbjahr und einem Euro-Franken-Kurs von 0.92 im nächsten Jahr. Dass die SNB eingreift, hänge von diversen Faktoren ab, darunter der Gang der Weltkonjunktur.
«Ab einem Kurs von 0.90 Rappen zum Euro dürfte die SNB sich neue Massnahmen überlegen», sagt der UBS-Experte. Das Wort Mindestwechselkurs vermeidet er. Aber er schliesst diese Massnahme, die 2013 zum Schutz der Schweizer Exportindustrie verhängt wurde, auch nicht aus.
Hasenmaile sieht es leicht optimistischer. Die Schweizer Wirtschaft sei aufgrund des kontinuierlich ablaufenden Strukturwandels «gut für Krisen gerüstet».
Doch am Sonntag dürften auch die Verantwortlichen bei der Schweizerischen Nationalbank mit Spannung die Wahlergebnisse aus Frankreich verfolgen.