Lange hielten die ukrainischen Frontkämpfer in Awdijiwka den Russen stand. Vier Monate lang zerbrach eine russische Angriffswelle nach der nächsten an den ukrainischen Stellungen. Nun hat sich das Blatt gewendet.
Die Kleinstadt ist fast komplett von den Russen umstellt. Laut Kriegsbloggern soll die russische Armee die verbliebenen ukrainischen Einheiten zur Kapitulation aufgefordert haben.
Die Ortschaft könnte der von Kremlchef Wladimir Putin (71) gewünschte Kriegserfolg für die russischen Präsidentschaftswahlen im März sein. Von strategischer Relevanz ist Awdijiwka eher nicht.
Diese Einheit soll Russen Verluste zufügen
Auf den Karten der ukrainischen Analyseplattform «Deepstate» ist zu sehen, dass die Russen die wichtigste Versorgungsstrasse der Ukrainer abgeschnitten haben. Die verbliebenen Verteidiger können nur noch über Feldwege mit Nachschub versorgt werden.
Es wäre besser, die Stadt aufzugeben, argumentieren Kriegsbeobachter. Der Kriegskartograf Andrew Perpetua wird besonders deutlich. «Um Himmels willen, Ukraine, verlasst Awdijiwka. Verschwindet einfach», schreibt er in einem Post auf X.
Für die ukrainische Armee kommt ein Rückzug offenbar nicht infrage. Zwar wurde ein Teilabzug der 110. mechanisierten Brigade verkündet, laut dem zuständigen Brigadegeneral Olexandr Tarnawski sollen aber «neue Kräfte eingesetzt» worden sein. Welche und wie viele Einheiten zum Einsatz kommen sollten, blieb zunächst offen.
Was bestätigt ist: Mit der 3. Sturmbrigade wurde eine der besten Kampftruppen der Ukraine nach Awdijiwka verlegt. Die 2000 Mann starke Einheit soll mit westlichen Waffen ausgerüstet den Russen maximale Verluste zufügen.
Selenski mit gewagter Aussage zu Awdijiwka
Der Preis für die Eroberung Awdijiwkas wird für die Russen hoch sein. Einer «Forbes»-Schätzung zufolge konnten die ukrainischen Kämpfer für jeden verlorenen Soldaten zehn Russen ausschalten. Hinzu kommt ein enormer Materialverschleiss. Die Forschungsgruppe «Oryx» zählte bislang 200 Panzer und 350 Schützenpanzer, die allein bei Awdijiwka seit Anfang Oktober zerstört wurden.
Der anhaltende Munitionsmangel auf ukrainischer Seite dürfte aber auch auf ukrainischer Seite die Todeszahlen nach oben schrauben. Awdijiwka könnte zum Sinnbild dessen werden, was an anderen Frontabschnitten noch bevorsteht.
Die Schlacht um Awdijiwka werde in vielerlei Hinsicht «den Gesamtverlauf des Krieges bestimmen», sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) bei einem Besuch in der Frontstadt im Dezember. Eine gewagte Aussage angesichts des militärisch gesehen niedrigen Werts der Stadt.
Am Donnerstag hissten die Russen am Ortseingang von Awdijiwka ihre Flagge. Selenski hatte dort noch im Dezember ein Selfie gemacht. (nad)