Auf Bildern wirkt alles so friedlich. Jede Menge Grün, dazwischen ein Elch und ansonsten Ruhe. Umgeben von der Ostsee, zwischen Schweden und Finnland, liegen verstreut Tausende Inseln, die sonst kaum jemand kennt. Doch gerade jetzt rücken die Ålandinseln in den Fokus.
Das finnische Archipel hat laut internationalen Abkommen seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen Sonderstatus militärischer Neutralität. Das heisst: Truppen dürfen dort nicht stationiert werden. Eigentlich. Aber seitdem Kreml-Chef Wladimir Putin (69) die Ukraine angreift und erbarmungslos Krieg führt, wird die Bedrohung durch Russland nun grösser und grösser. Besonders, weil Finnland und Schweden in die Nato wollen – sehr zum Ärger von Putin.
Sollten die Russen tatsächlich Finnland angreifen, dann wären die Ålandinseln die perfekte Einfallspforte, warnen Militärexperten. «Das ist die Achillesferse der finnischen Verteidigung», sagt Alpo Rusi (72), Professor und ehemaliger finnischer Präsidentenberater, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. «Es besteht die Sorge, dass Finnland im Falle eines plötzlichen Angriffs auf Åland militärisch nicht schnell genug reagieren könnte.» Die rund 30'000 Inselbewohner sind jedoch weiterhin mehrheitlich gegen jegliche Militärpräsenz.
Sonderstatus wird von Russen überwacht
Die grösstenteils schwedischsprachigen Ålandinseln gehören heute zu Finnland, geniessen politisch aber weitgehende Autonomie. Schweden hatte sie nach einem Krieg mit dem russischen Zarenreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wie auch den Rest des heutigen Finnlands abgetreten.
Helsinki erlangte dann 1917, gut 100 Jahre später, seine Unabhängigkeit von Moskau. Die Ålandinseln blieben finnisch, nahmen zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eine Sonderstellung ein.
Die militärische Neutralität des Archipels geht auf einen Friedensvertrag von 1856 zurück. Damals hatten im Krimkrieg mit Russland Grossbritannien und Frankreich die Inseln eingenommen und im Vertrag von Paris die Entmilitarisierung des strategisch wichtigen Ostsee-Gebiets durchgesetzt. Diesen Status überwacht seit dem Zweiten Weltkrieg auch ein zunächst sowjetisches, dann russisches Konsulat in Mariehamn, dem Hauptort der Inselgruppe.
«Russland ist immer eine Bedrohung»
Eine Gruppe von Anwohnern versammelt sich dieser Tage täglich vor dem hohen Metallzaun, der das Konsulat umgibt, um gegen Russlands Krieg in der Ukraine zu demonstrieren. «Sie haben hier nichts zu suchen. Russland ist immer eine Bedrohung», sagt der Demonstrant Mosse Wallen (71) zu AFP.
Auch Experten warnen, dass die Neutralität die Ålandinseln eventuell nicht vor einem russischen Angriff schützen würde. «Warum sollten wir auf die Idee vertrauen, dass die Truppen nicht so schnell wie möglich die Kontrolle über Åland übernehmen würden», sagt Charly Salonius-Pasternak (48), Forscher am Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten. Im Juni ergab eine Umfrage, dass 58 Prozent der Finnen eine Militärpräsenz auf Åland befürworten.
«Wir haben nichts, was sich zu erobern lohnt»
Die Åländer hingegen wollen ihren Sonderstatus bewahren und haben die Idee einer Beendigung der Entmilitarisierung bisher entschieden abgelehnt. «Warum sollten wir das ändern? Ich denke, es ist ein stabilisierender Faktor im Ostseeraum, dass wir entmilitarisiert sind», sagte die åländische Regierungschefin Veronica Thornroos (59) zu AFP.
«Wir haben immer gedacht: ‹Wer will uns schon angreifen, wenn wir nichts haben, was sich zu erobern lohnt?›», sagt der Åländer Ulf Grussner (81). Mit dem Ukraine-Krieg seien daran zwar Zweifel aufgekommen, er sei aber dennoch weiterhin für eine Beibehaltung der militärischen Neutralität der Inseln.
Die finnische Regierung gibt an, sie habe keine Absicht, den Sonderstatus von Åland anzutasten. Sia Spiliopoulou Åkermark, Direktorin des Åland Peace Institute, führt an, dass dies ohnehin schwierig wäre. Der Åland-Status müsse ganzheitlich als «komplexer Knoten» aus Autonomie, kulturellen Garantien und Entmilitarisierung betrachtet werden. (jmh/AFP)