Russland will Ostsee-Grenzen verschieben – Experte ordnet ein
Putins perfider Plan

Kremlchef Putin möchte sein Reich vergrössern: In der Ostsee sollen die Grenzen verschoben werden. Das ist illegal – und eine Drohung an die Nato, erklärt Russland-Experte Ulrich Schmid.
Publiziert: 23.05.2024 um 20:30 Uhr
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Aktualisiert: 24.05.2024 um 13:18 Uhr
Kremlchef Wladimir Putin möchte sich Nato-Gebiete unter den Nagel reissen. Der erste Schritt ist bereits in Planung.
Foto: keystone-sda.ch
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Kriegsschauplatz Ostsee? Kremlchef Wladimir Putin (71) droht offen damit, die Grenzen im Meer zu seinen Gunsten zu verschieben. In einem neuen Dokument sind die Gebiete rund um die Exklave Kaliningrad und mehrere Inseln rund um Finnland und Litauen erwähnt – also Nato-Gebiet. Russlands neue Provokation sorgt in Europa deshalb für Alarmstimmung. Im Gespräch mit Blick erklärt Russland-Experte Ulrich Schmid, welchen perfiden Plan Kremlchef Putin mit diesem Vorhaben ausheckt.

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Was genau plant Russland?

Kremlchef Putin möchte die Seegrenzen in der Ostsee verschieben. Das besagt ein Dokument aus dem russischen Verteidigungsministerium. Konkret geht es um russische Inseln im Osten des finnischen Meerbusens und das Gebiet rund um die russische Exklave Kaliningrad. Betroffen von den Änderungen wären Finnland und Litauen.

Mit dieser Verschiebung werden die Gebiete zu russischen Binnenwässern erklärt. Dafür muss die sogenannte Küstenbasislinie neu berechnet werden, die es seit 1985 gibt. Diese Linie definiert die Seegrenzen und Meereszonen. Alles, was landwärts von dieser Basislinie liegt, ist ein Binnengewässer und gehört zum Staatsgebiet des Küstenstaats. Seewärts der Küstenbasislinie beginnen unterschiedliche Meereszonen. Wichtig: Seeseitig dürfen Schiffe anderer Staaten passieren – landseitig nicht.

Putin möchte so eine grössere Pufferzone im Meer errichten. Zudem würden ihm verschobene Grenzen einen Vorteil verschaffen, wenn er die schwedische Insel Gotland angreifen würde. Der schwedische Armeechef des Landes, Micael Bydén, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland in einem Interview: «Wer Gotland kontrolliert, der kontrolliert die Ostsee.» Wenn Putin in Gotland einmarschiere, könne er die Nato-Länder vom Meer aus bedrohen.

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Darf Putin das überhaupt?

Für eine legale Veränderung der Küstenbasislinie müsste Russland einen Antrag an den Internationalen Seegerichtshof oder die Internationale Seeschifffahrtsorganisation stellen. Russland-Experte Ulrich Schmid von der Uni St. Gallen sagt gegenüber Blick aber: «Putin schert sich spätestens seit der Krim-Annexion 2014 nicht mehr um das internationale Recht.»

Seit damals verfügt Russland nicht mehr über international anerkannte Grenzen. «Mit der Annexion der vier ukrainischen Gebiete im Oktober 2022 hat sich diese Situation noch verschärft», so Schmid. «Deshalb ist es heute für den Kreml einfach, einseitige Grenzverschiebungen zu erklären, weil man sowieso nur noch die eigenen Regeln beachtet.» Oder zynisch ausgedrückt: Auf eine illegale Grenze mehr oder weniger kommt es dem Kreml nicht mehr an.

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Was bedeutet das für die Betroffenen?

Laut ZDF wird diese Änderung, sofern sie durchgesetzt wird, erst mal keinen nachhaltigen negativen Effekt auf die anderen Ostseeanrainer haben. Auch Experte Schmid sieht in der Ankündigung eher eine Drohung an den Westen: «Diese Ankündigung ist einer der vielen Nadelstiche, die der Kreml in der Vergangenheit gegen europäische Staaten ausgeführt hat und in Zukunft ausführen wird.»

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Wladimir Putin möchte die Seegrenzen in der Ostsee verschieben.
Foto: imago images/SNA

Schmid hält es für unwahrscheinlich, dass Putin Ernst machen wird. Tatsächlich wurde das Dokument mittlerweile aus dem russischen Portal für Rechtsakte entfernt. Die Gründe dafür sind unbekannt. Staatliche Nachrichtenagenturen dementierten Berichte zu den Plänen kurz darauf. «Dass es dem Kreml in erster Linie um Drohungen geht, zeigt auch die Tatsache, dass die Ankündigung schon wieder gelöscht wurde», so Schmid. Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (56) verweist wortkarg an das Verteidigungsministerium.

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Ist das ein Angriff auf die Nato?

Nein, meint Schmid. Der Kreml wolle – wortwörtlich – die Grenzen des Möglichen austesten. «Es gehört zur Grundstrategie des Kremls, die westliche Deutung von Artikel 5 des Nato-Vertrags auszutesten.» Der Russland-Experte warnt: «Deshalb wird es zu weiteren solchen Aktionen kommen.»

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Wieso macht Putin das ausgerechnet jetzt?

Russland-Experte Schmid sieht in der Aktion eine Reaktion auf den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden. Bereits im Dezember 2023 hatte Putin in einem Interview gesagt, dass es bisher «keine Probleme» gegeben habe mit den nordischen Staaten. Nun «werde es Probleme geben». Auch Putin begründet das Vorhaben mit der «aktuellen Situation».

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