Nach der Anerkennung der separatistischen Gebiete in der Ostukraine durch Wladimir Putin (69) dürfte es für die Ukrainer ungemütlich werden. Zusammen mit den prorussischen Separatisten könnten die russischen Truppen das restliche Gebiet der Oblaste Donezk und Luhansk, auf das die Besatzer Anspruch erheben, einnehmen – möglicherweise noch weitere Gebiete in der Ostukraine.
«Die Ukrainer könnten dann auf Konfrontation gehen oder sich zurückziehen, ohne dass ein Schuss fällt», sagt ETH-Sicherheitsexperte Benno Zogg (32) gegenüber Blick. Ein Extremszenario wäre, dass im Westen eine Rumpf-Ukraine mit einer von Putin eingesetzten prorussischen Regierung übrig bleibe, so Zogg weiter.
Von Gas bis Seltene Erden
Dass sich Putin so an der Ukraine festbeisst, hat vor allem zwei Gründe: einen politischen und einen wirtschaftlichen. Für den russischen Präsidenten ist es ein No-Go, dass sich die ehemalige Sowjetrepublik immer mehr nach Westen wendet und um einen Beitritt in EU und Nato ersucht. Damit hätte Putin keinen Pufferstaat mehr zum Westen.
Auf der andern Seite ist die Ukraine auch wirtschaftlich höchst interessant. Das Land gilt als Kornkammer Europas und ist einer der grössten Weizenexporteure der Welt. Die Ukraine verfügt zudem über enorme Bodenschätze – von Eisenerz, Grafit, Titan, Nickel, Lithium bis hin zu Seltenen Erden. Selbst noch riesige unerschlossene Schiefergas-Vorkommen schlummern unter der Erde.
Im Osten, wo die prorussischen Separatisten Land besetzt haben, sorgte die Industrie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für Wohlstand. Donezk ist bekannt für Schwerindustrie und Kohlebergbau, Luhansk für die grösste Lok-Fabrik Europas.
Bedrohliche Manöver mit Nuklearwaffen
Als Russland wegen der Westausrichtung der Ukraine 2014 die Halbinsel Krim annektierte, besetzten prorussische Separatisten Gebiete in den Oblasten Donezk und Luhansk und riefen eigenständige Volksrepubliken aus. Mit der Anerkennung dieser Republiken hat sich Putin einen Grund geschaffen, in die Ukraine eindringen zu können, um den dort wohnenden Russen «zu helfen».
Dass Russland in den vergangenen Tagen auch Manöver mit Nuklearwaffen durchgeführt hat, ist für Zogg «höchst beunruhigend». Dennoch glaube er nicht an einen Atomkrieg, solange der Konflikt regional bleibe. Gefährlich werde es dann, wenn es etwa mit Nato-Truppen zu einem Missverständnis komme und sich zwischen diesen Fronten ein Krieg entfache.
Kaum Friede unter Putin
Für Zogg ist klar: Nach dem Entscheid Putins sind die Minsker Abkommen, die für die Regionen Donezk und Luhansk innerhalb der Ukraine einen Sonderstatus vorgesehen hatten, sozusagen einseitig gekündigt worden. «Die Abkommen sind tot», sagt Zogg.
An eine schnelle Lösung glaubt Zogg nicht. Der Konflikt werde uns noch viele Jahre beschäftigen. Er verweist auf Georgien, wo russische Truppen seit 13 Jahren stationiert sind, und auf Moldawien, wo die Russen schon seit 30 Jahren die Finger im Spiel hätten. Zogg: «Solange Putin regiert, ist ein stabiler Frieden praktisch ausgeschlossen.»