Am 7. April 2018 begab sich der Tengelmann-Erbe Karl-Erivan Haub zu einer Solo-Skitour auf das Klein Matterhorn. Vier Tage später gab die Kantonspolizei sein Verschwinden in den Gletschern bekannt. Die Wahrscheinlichkeit, den damals 58-Jährigen lebend zu finden, war nur noch gering. War Haub bei seinem Abenteuer verunglückt?
Bis heute wurde seine Leiche nicht gefunden. Die deutsche Journalistin Liv von Boetticher recherchierte im Fall und fand heraus, dass Karl-Erivan Haub offenbar ein Doppelleben in Russland geführt haben könnte. Mit einer geheimen Geliebten, Arbeit für den russischen Geheimdienst und krummen Geschäften.
Im Buch «Die Akte Tengelmann – Welche Rolle der russische Geheimdienst spielt und warum deutsche Behörden nicht ermitteln» fasste sie zum ersten Mal ihre Ergebnisse zusammen. Um Werbung für ihr Buch zu machen, gewährt sie dem «Focus» Einblicke in ihre Recherchen und berichtet sie davon, dass Ermittler angeblich nach einer Woche zu dem Ergebnis kamen, dass Haub sein Verschwinden mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent inszeniert haben soll.
Grund für diese Annahme der Ermittler seien auffällige Ungereimtheiten. Auch ein Motiv für ein bewusstes Verschwinden von Haub soll es geben: Die Tengelmann-Gruppe soll nach Recherchen von RTL in Kontakt mit russischen Geschäftsleuten gewesen sein, die wiederum mit Geldwäsche in Verbindung gebracht werden. Auch der russische Geheimdienst FSB soll eine Rolle gespielt haben. Im November 2020 schrieb erstmals die «Bunte» über diese Theorie.
Ermittler wurden unter Druck gesetzt
In dem Buch der Journalistin von Boetticher wird auch ein brisantes Gesprächsprotokoll erwähnt. Die beiden Tengelmann-Privatdetektive trafen sich demnach im Dezember 2020 mit dem Anwalt Markus Binz. Dieser vertritt den jüngeren Bruder von Karl-Erivan Haub, Christian Haub. Letzterer übernahm nach dem Verschwinden seines Bruders die Tengelmann-Geschäfte. Die drei sprachen über eine «bewusste Diskrepanz» im Hinblick auf die mediale Berichterstattung. Bewusst seien falsche Informationen in Umlauf gebracht worden, so etwa, dass zwei Meter Neuschnee eine Suche nach dem angeblich Verunglückten nahezu unmöglich machten.
Selbst mit einem Helikopter hätte man die Spuren einer Skitour noch erkennen können, sind die Privatdetektive überzeugt. Doch die Suchtrupps fanden rein gar nichts. Laut «Focus» sollen die Schweizer Behörden und die Bergretter aus dem Umfeld von Tengelmann unter Druck gesetzt worden sein. Sie sollen ermahnt worden sein, bloss keine andere Theorie als die Unfall-Theorie zu verbreiten.
Die Kantonspolizei Wallis hat sich auf Anfrage von Blick noch nicht zu den Vorwürfen geäussert.
Kurz vor Aufbruch schaltete Haub sein Smartphone aus
Julia Emmler, die Trainerin von Haub, staunte über dessen Pläne für den 7. April 2018. Der Milliardär habe sich sonst immer sehr akribisch auf bevorstehende Touren vorbereitet. Das grosse Ziel von Haub war die Patrouille des Glacier von Zermatt nach Verbier – eine der härtesten Skitourenrennen der Welt.
Dass Haub sich am 7. April spontan und alleine auf den Weg machte, widerspreche allen Regeln der alpinen Vernunft. Ebenfalls auffällig: Kurz vor Aufbruch schaltete Haub sein Smartphone aus. Zu Binz sagte Emmler, dass sie nie an einen Bergunfall geglaubt habe. Sie habe Haub zudem empfohlen, so kurz vor dem Rennen eine Pause einzulegen. An diese Empfehlung hielt er sich offensichtlich nicht.
Doch warum war Haub überhaupt in Zermatt? Eigentlich wollte er sich laut dem Gesprächsprotokoll nach Frankreich fliegen lassen – das «schlechte Wetter» habe ihn jedoch umgestimmt. Kurzfristig teilte der Tengelmann-Chef laut Bericht seinem Piloten das neue Ziel mit.
Hat sich Haub nach Russland abgesetzt?
Brisant: Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIA und des russischen Geheimdienstes FSB waren laut der Recherche von Boetticher bereits kurz nach Haubs Verschwinden in Zermatt. Damit nicht genug: Veronika E., Haubs angebliche Geliebte, soll als Spionin auf den Milliardär angesetzt worden sein. Es gibt offenbar sogar Hinweise, dass Haub ein Kind mit E. hat.
Der Verdacht geht in die Richtung, dass Haubs dubiose Geschäfte mit russischen Geschäftsleuten drohten aufzufliegen. Die CIA ist daher sicher, dass der Tengelmann-Chef erst nach Italien geflogen ist und sich dann nach Russland abgesetzt hat.
Da Haub aber für tot erklärt wurde, sind die offiziellen Ermittlungen im Mai 2021 eingestellt worden. Eine Aufhebung der Todeserklärung lehnt die Staatsanwaltschaft Köln aus mangelnden Beweisen bisher ab. Christian Haub hingegen sagte 2021 zu «Focus»: «Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass mein Bruder tödlich verunglückt ist. Für ein Untertauchen fehlt es bislang weit und breit an einem Motiv.» (jwg)