Das Verschwinden von Karl-Erivan Haub (†58) ist bis heute ein Rätsel. Der damalige Chef der deutschen Tengelmann-Handelsgruppe war im April 2018 in Zermatt VS allein zu einer Skitour aufgebrochen und nicht zurückgekehrt. Die Familie geht davon aus, dass er am Klein Matterhorn tödlich verunglückte.
Bis heute wurde seine Leiche nicht gefunden. Die deutsche Journalistin Liv von Boetticher recherchierte im Fall und fand heraus, dass Karl-Erivan Haub offenbar ein Doppelleben in Russland geführt haben könnte. Mit einer geheimen Geliebten, Arbeit für den russischen Geheimdienst und krummen Geschäften.
«Dazu gehören auch mutmassliche Geldwäscheaktivitäten der Tengelmann-Firmen ‹Plus Russland› und ‹Obi Russland›», sagt von Boetticher zu «Focus». Den Fall hat sie in ihrem Podcast «Die Akte Tengelmann – ein Milliardär verschwindet» neu aufgerollt.
Angebliche Fotos, die Karl-Erivan Haub in Moskau zeigen
Und sie berichtet davon, wie versucht wurde, sie an den Recherchen zu hindern. «Vor einer Woche habe ich dann zum ersten Mal einen anonymen Anruf bekommen, bei dem ich ganz klar davor gewarnt wurde, bei meinen Recherchen zu weit zu gehen.»
Die Journalistin liess sich aber nicht stoppen. Sie machte weiter und will herausgefunden haben, dass Karl-Erivan Haub untergetaucht sei und inzwischen in Russland lebe. Der Tod in den Bergen soll demnach bloss inszeniert worden sein. Und nicht nur das: Die Familie von Haub soll davon gewusst haben und sogar Fotos besitzen, die Karl-Erivan Haub in Moskau zeigen – mehrere Monate nach seinem mysteriösen Verschwinden in den Walliser Bergen.
Steckt Familienstreit hinter dem Verschwinden?
Laut von Boetticher gab es ein Motiv für einen inszenierten Tod. Denn: Er hatte Streit mit seinem Bruder. Nach dem Verschwinden von Karl-Erivan Haub hatte dessen jüngerer Bruder Christian die alleinige Geschäftsführung im milliardenschweren Handelskonzern übernommen. Bislang gehörte der Familienkonzern jeweils zu gut einem Drittel Karl-Erivan Haub und dem gegenwärtigen Chef Christian Haub.
Von Boetticher zu «Focus»: «Um die Nachfolge in der Geschäftsführung klar und schnell zu regeln, wäre es am einfachsten gewesen, eine inszenierte Flucht von Karl-Erivan nachzuweisen. Durch den Nachweis eines geschäftsschädigenden Verhaltens hätte der älteste Haub-Sohn von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden können.»
Vor dem Podcast ging von Boetticher mit ihrer Recherche bereits an die Öffentlichkeit. Im Buch «Die Akte Tengelmann – Welche Rolle der russische Geheimdienst spielt und warum deutsche Behörden nicht ermitteln» fasste sie zum ersten Mal ihre Ergebnisse zusammen.
Journalistin will Behörden an ihre Pflicht erinnern
Für sie ist klar: Hinter dem Verschwinden von Karl-Erivan Haub steckt mehr als ein tragischer Unfall in den Bergen. Darum ist sie auch so sauer, dass die deutschen Behörden angeblich nicht gründlich ermitteln. Doch sie lässt nicht locker. «Ich werde alle möglichen Schritte unternehmen, um die Staatsanwaltschaft Köln und das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen an ihre Pflicht zur Aufklärung von Straftaten zu erinnern.»
Das Amtsgericht Köln hatte 2021 den Milliardär für tot erklärt. In den vergangenen Monaten hatte es Medienberichte über Zweifel am Tod des erfahrenen Skiläufers gegeben. Das Gericht hielt damals fest, dass es keine Beweise für die Theorien einer Flucht gebe. Gegenteilige Behauptungen fussten auf «Vermutungen und nicht prüfbaren Unterlagen», hatte es festgestellt.