Premier spielt auf Zeit
Frankreichs Regierungschef Bayrou entfacht Rentendebatte neu

Frankreichs Regierungschef François Bayrou will die umstrittene Rentenreform neu debattieren. Er hofft, damit die Unterstützung der Sozialisten zu gewinnen und Zeit für seine Minderheitsregierung zu kaufen.
Publiziert: 15:53 Uhr
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Aktualisiert: 15:54 Uhr
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Frankreichs Regierungschef François Bayrou will die umstrittene Rentenreform neu debattieren.
Foto: AFP

Auf einen Blick

  • Macron kämpft mit Rentenreform und sinkender Beliebtheit
  • Bayrou will neue Debatte über Rentenalter ohne Tabus führen
  • Macron wollte Rentenalter ursprünglich auf 65 Jahre erhöhen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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AFPAgence France Presse

Grossdemos, Randale und ein abgesagter Staatsbesuch – all das waren Begleiterscheinungen der Rentenreform, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (47) 2023 durchs Parlament geboxt hatte. Nun will Regierungschef François Bayrou (73) das Fass wieder aufmachen. Obwohl die Reform vor fast zwei Jahren verabschiedet wurde, bietet Bayrou jetzt eine neue Debatte an, «ohne Tabus, auch mit Blick auf das Rentenalter», sagte er bei seiner Antrittsrede am Dienstag.

Bayrous Ziel: Er will sich damit die Duldung seiner Regierung durch die Sozialisten erkaufen. Diese hatten Zugeständnisse bei der nach wie vor umstrittenen Reform gefordert, nach der das Rentenalter von 62 schrittweise auf 64 angehoben wird. Nur wenn die Reform offiziell ausgesetzt und neu verhandelt werde, wollten sie sich verpflichten, die nächsten Misstrauensanträge nicht zu unterstützen – selbst dann nicht, wenn die mit ihnen verbündeten Linksradikalen ihn einreichen.

Bayrou kauft sich Zeit

Eine dreimonatige Debatte, verbunden mit der Ansage, dass es am Ende bei der bereits geltenden Reform bleibe, falls die Sozialpartner keinen Konsens finden – das hat die Sozialisten erstmal nicht überzeugt. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass diese zu einem Ergebnis führt, das alle Seiten akzeptieren können.

Aber immerhin hat Bayrou sich Zeit gekauft. So lange diskutiert wird, dürfte seine Regierung überleben. Der Regierungschef setzt vermutlich darauf, dass das Parlament in dieser Zeit immerhin den Haushalt 2025 verabschieden wird. Dass er anschliessend weitere grosse Reformen angehen will, zeichnet sich nicht ab.

Rückschlag für Macron

Auf Herausforderungen wie die Anpassung an den Klimawandel oder eine Reform der Sterbehilfe ging Bayrou in seiner Regierungserklärung nur am Rande ein. Allenfalls einen Schritt in Richtung Verhältniswahlrecht – für den sich relativ leicht eine Mehrheit finden dürfte – versprach Bayrou.

Für Macron wäre ein neuer Rentenkompromiss ein herber Rückschlag. Die von ihm auf den Weg gebrachte Reform hatte er bislang als eine seiner wichtigsten Hinterlassenschaften für sein Land betrachtet. Ursprünglich hatte Macron das Rentenalter sogar auf 65 Jahre erhöhen wollen.

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Aber auch die Aussicht, dass die Debatte am Ende verpufft, ist für den Präsidenten keine erfreuliche. Die Minderheitsregierung hat es weiterhin mit einer Nationalversammlung zu tun, die in drei miteinander verfeindete Blöcke gespalten und daher nicht in der Lage ist, Reformen auf den Weg zu bringen.

Eine erneute Auflösung der Nationalversammlung ist frühestens im September realistisch. Dabei ist nicht abzusehen, ob eine Neuwahl klarere Mehrheitsverhältnisse schaffen würde.

Macron «sehr verletzt»

Macron hat sich durch seine Entscheidung im vergangenen Sommer, Neuwahlen auszurufen, selber ins Abseits manövriert. Forderungen nach seinem Rücktritt weist er bislang zurück. Auch seine Frau Brigitte bekräftigte kürzlich, dass dies für ihn keine Option sei.

Sie räumte aber auch ein, dass ihr Mann derzeit nicht besonders gut gelaunt sei. Die Anfeindungen der Opposition nähmen in mehr mit als früher, sagte sie. Er fühle sich manchmal «sehr verletzt», und er behielte vieles für sich, anstatt mit ihr darüber zu sprechen.

Macron unbeliebt wie nie

Die Präsidentengattin bemühte sich in ihren jüngsten Interviews sichtlich, um mehr Verständnis für Emmanuel Macron zu werben. Nötig hätte er es: Derzeit ist er auf der Beliebtheitsskala so tief gesunken wie nie. Knapp die Hälfte der Befragten gab in einer Umfrage an, «überhaupt kein Vertrauen» in den Präsidenten zu haben.

Mittlerweile sind unter den drei beliebtesten Spitzenpolitikern gleich zwei Rechtspopulisten: die Fraktionschefin des Rassemblement National (RN) Marine Le Pen (56) und RN-Parteichef Jordan Bardella (29). Erstere will bei der nächsten Präsidentschaftswahl zum vierten Mal antreten und hofft auf den Sieg. Falls die Justiz ihr – durch ein im März erwartetes Urteil in einem Veruntreuungsverfahren – einen Strich durch die Rechnung macht, steht der Ersatzkandidat schon bereit. 

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