Polnischer Ministerpräsident schürt Angst vor Einmarsch
Wahlkampf mithilfe der Wagner-Söldner

Bis zu 5000 Wagner-Söldner sollen sich in Belarus befinden. Eine Bedrohung für Polen, findet Ministerpräsident Morawiecki. Reine Panikmache, entgegnet Oppositionsführer Tusk.
Publiziert: 10.08.2023 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 10.08.2023 um 12:44 Uhr
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Wagner-Söldner bilden belarussische Soldaten an der Grenze zu Polen aus.
Foto: keystone-sda.ch
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

In Polen geht die Angst um: Könnten russische Wagner-Söldner Polen angreifen? Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (55) hält dieses Szenario für wahrscheinlich. Bei einem Treffen mit Litauens Präsidenten Gitanas Nausėda (59) vergangene Woche warnte er vor den «wirklich dramatischen Konsequenzen» der Präsenz der Wagner-Soldaten im Nachbarland Belarus. Über 100 Wagner-Söldner seien an die Grenze Polens verlegt worden und könnten – getarnt als illegale Einwanderer – polnisches Territorium infiltrieren.

Die Warnungen Morawieckis sind aber nichts anders als Panikmache und eiskaltes politisches Kalkül. Zumindest behauptet das Donald Tusk (66), ehemaliger polnischer Ministerpräsident und Anführer der Oppositionspartei Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform). Die beiden Spitzenpolitiker Morawiecki und Tusk werden sich Mitte Oktober bei den nationalen Wahlen in Polen gegenüberstehen.

Polnische Regierung warnt vor Besetzung der Suwalki-Lücke

Der Vorwurf, den Tusk Morawiecki macht: Die Angst der polnischen Bevölkerung schüren, um sie im Wahlkampf hinter der aktuellen PiS-Regierung zu vereinen. Doch sind die Sorgen des aktuellen Ministerpräsidenten so abwegig? Schliesslich sollen seit dem missglückten Putsch-Versuch von Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (62) 3000 bis 5000 Wagner-Kämpfer nach Belarus verlegt worden sein. Zudem verletzten vergangene Woche belarussische Helikopter den polnischen Luftraum, worauf Morawiecki eine Verstärkung der polnischen Grenztruppen ankündigte.

Polen und Belarus teilen sich eine 418 Kilometer lange Grenze. Und: Beide Länder grenzen an die Suwalki-Lücke – einem strategisch bedeutsamen, 100 Kilometer breiten Landkorridor, der einerseits Polen mit den baltischen Ländern verbindet und andererseits Belarus und die russische Exklave Kaliningrad trennt. Laut Morawiecki sollen Wagner-Söldner die Eroberung dieses Landstücks planen. Sollte dies geschehen, wären die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen vom Rest Europas abgeschnitten.

Militär-Experten geben Entwarnung

In Nato-Manövern wurde das Szenario – ein russischer oder belarussischer Angriff auf die Suwalkilücke – schon durchgespielt. Das ernüchternde Ergebnis: Polen würde sich gerade mal vier Tage allein verteidigen können. Ausserdem, behauptet Morawiecki, würden die Nato-Staaten Polen nur zögernd verteidigen, wenn überhaupt. Um seine Theorie zu belegen, greift er zum Geschichtsbuch: Im Zweiten Weltkrieg hatten Polens Garantiemächte Frankreich und Grossbritannien auch nicht eingegriffen, als die deutsche Wehrmacht und Sowjetrussland Polen am 1. und am 17. September 1939 überfallen hatten.

Hier liegt der polnische Ministerpräsident aber falsch: Wenn russische Söldner polnisches Territorium angreifen, würde der Nato-Bündnisfall ausgelöst werden. Der Nato-Bündnisfall ist in Artikel 5 des Nordatlantikvertrages rechtlich geregelt. Demnach vereinbaren die Nato-Mitglieder, dass ein bewaffneter Angriff gegen mindestens ein Mitglied als ein Angriff gegen alle Nato-Mitglieder angesehen wird. Die Nato-Staaten sind dann verpflichtet, den Angegriffenen auch militärisch beizustehen. Wagner, Belarus und Russland werden sich hüten, den Bündnisfall auszulösen.

Ausserdem stellen einige Hundert Wagner-Söldner aus Sicht von Militär-Experten keine ernsthafte Bedrohung für Polen dar. Die Verlegung der Wagner-Männer nach Belarus sei vor allem als psychologische Kriegsführung aus dem Kreml zu verstehen. Wie der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) zudem am Donnerstag berichtet, gibt es bereits Spekulationen, dass sich die Wagner-Gruppe wieder aus Belarus abzieht. Bis zu 600 Söldner sollen mit Bussen wieder zurück nach Russland gebracht worden sein.

Trotzdem möchte Morawiecki laut der Nachrichtenagentur Reuters 10'000 polnische Soldaten an die Grenze schicken – zur Sicherheit. Schliesslich handelt es sich noch immer um feindliche Truppen in unmittelbarer Nähe der eigenen Grenzen.

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