Polit-Beben bei den Briten
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Rücktritt von Liz Truss

Der Druck auf Liz Truss wurde zu gross. Am Donnerstag gab sie ihren Rücktritt bekannt. Sie war nur 44 Tage im Amt. Wie konnte das passieren? Und wie geht es jetzt weiter in Grossbritannien. Ein Überblick.
Publiziert: 21.10.2022 um 09:47 Uhr
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Liz Truss tritt als britische Premierministerin zurück. Nun wird bereits über die Nachfolge spekuliert.
Foto: Getty Images

Liz Truss (47) ist die britische Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit der Geschichte. Sie war nur 44 Tage im Amt. Als Premierministerin will sie noch im Amt bleiben, bis eine Nachfolge gefunden ist. Mit ihrem Scheitern hat die innenpolitische Krise im Vereinigten Königreich ihren vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Auch innerhalb der – noch – regierenden Konservativen Partei ist das Chaos gross.

Was ist passiert?

Der Druck auf Liz Truss wurde zu gross. Die Premierministerin, erst seit 6. September im Amt, hatte versucht, eine radikale Steuerreform durchzupeitschen. Als die parteiinterne Kritik zunahm und Truss realisierte, dass sie das Paket kaum durchs Parlament bringen würde, nahm sie die geplante Steuersenkung für Spitzenverdiener wieder zurück und entliess den Finanzminister Kwasi Kwarteng (47). Am Mittwoch verkündete dann Innenministerin Suella Braverman (42) ihren Rücktritt.

Die Steuererleichterungen sollten ursprünglich rund 45 Milliarden Pfund (umgerechnet knapp 50 Milliarden Franken) betragen. Davon wurden 32 Milliarden Pfund wieder gestrichen. Der teure Energiepreisdeckel, mit dem die Ausgaben der Privathaushalte subventioniert werden sollen, blieb im Programm stehen.

Zum Schluss hatte Truss bereits nach wenigen Wochen keine Autorität mehr, auch andere politische Vorhaben hielten nicht stand. Mit der Konsequenz: Rücktritt!

Was ist nun geplant?

Truss hatte sich im Sommer in einem wochenlangen Wahlprozess durchgesetzt. Dabei hatte die konservative Parlamentsfraktion zwei Kandidaten gekürt: ausser Truss noch Ex-Finanzminister Rishi Sunak (42). Das letzte Wort hatte die Parteibasis in einer Stichwahl – und entschied sich für Truss. Ein ähnlicher Ablauf ist auch jetzt geplant, wie der Chef des zuständigen Fraktionskomitees ankündigte. Allerdings soll die Entscheidung bereits deutlich schneller fallen – innerhalb einer Woche. Die Nominierten sollen am Montag feststehen, dann stimmt die Fraktion ab, bis zwei Kandidaten übrig bleiben – und spätestens bis Freitag entscheiden dann die Parteimitglieder in einer Online-Runde über die Siegerin oder den Sieger.

Wer sind die Favoriten?

An der Ausgangslage vom Sommer hat sich wenig geändert. Kurz nach Truss' Rücktritt wurden die Namen von Ex-Finanzminister Sunak und Penny Mordaunt (49), aktuell Ministerin für Parlamentsfragen, genannt. Sie waren bei der parteiinternen Abstimmung hinter Truss auf den Plätzen zwei und drei gelandet. Als Möglichkeit gilt, dass sie eine Art Dreierbündnis mit dem amtierenden Schatzkanzler Jeremy Hunt (55) führen, der im Sommer ebenfalls kandidiert hatte, aber nun eine Bewerbung für die Downing Street ausgeschlossen haben soll. In diesem Szenario würde Sunak neuer Premierminister und Mordaunt würde ins Aussenministerium wechseln. Hunt bliebe Finanzminister.

Warum könnte das ein Problem sein?

Eine solche Lösung gilt als rotes Tuch für den rechtskonservativen Teil der Konservativen Partei. Dieser Flügel hat zuletzt immer stärker an Gewicht gewonnen und Truss letztlich auch in die Downing Street gehievt. Es gilt daher als nicht ausgeschlossen, dass diese Seite eine eigene Kandidatin oder einen eigenen Kandidaten aufstellt. Als mögliche Bewerberin gilt Suella Braverman, die am Mittwoch von Truss als Innenministerin aus dem Amt gedrängt wurde. Die Hardlinerin hatte sich in den vergangenen Tagen entsetzt gezeigt, dass Truss ihren Wirtschaftskurs nach Kritik über den Haufen warf und zudem mit rechtspopulistischen Aussagen zur Migrationspolitik für Aufsehen gesorgt.

Und wer ist noch im Rennen?

Die Hinweise verdichten sich, dass der Vorgänger von Truss versuchen könnte, auch ihr Nachfolger zu werden. Wie die Zeitungen «Times» und «Telegraph» übereinstimmend berichteten, erwägt Boris Johnson (58) eine Kandidatur. Er hatte bei seinem eigenen Rücktritt Anfang Juli deutlich gemacht, dass er sich nicht aus freien Stücken zurückzieht. Mehrere Abgeordnete sprachen sich bereits für Johnson aus, obwohl noch immer eine parlamentarische Untersuchung wegen der «Partygate»-Affäre gegen ihn läuft. Beim Wettanbieter Ladbrokes wird eine Johnson-Rückkehr hoch gehandelt, bei der Parteibasis ist er äusserst beliebt. Andererseits warnen auch Tory-Abgeordnete vor dem Ex-Premier, in der Wählerschaft wird er äusserst kritisch gesehen. Viele hielten ihn für einen Lügner, betonte der – nicht verwandte – Meinungsforscher James Johnson.

Warum wird es vermutlich keine vorgezogene Neuwahl geben?

Die Rufe nach einer vorgezogenen Neuwahl werden immer lauter, die Oppositionsparteien fordern dies bereits seit Johnsons Aus. Eigentlich steht die nächste reguläre Parlamentswahl für 2024 im Kalender, spätester Termin ist der Januar 2025. Aber angesichts der wochenlangen Turbulenzen und der Tatsache, dass weniger als 0,3 Prozent aller Wahlberechtigten erneut über das wichtigste politische Amt entscheiden sollen, ist der politische Druck nun immens. Doch die Konservativen wollen eine Neuwahl um jeden Preis vermeiden, wie der Politologe Mark Garnett (59) sagt. Denn aktuelle Umfragen sagen einen Erdrutschsieg der Oppositionspartei Labour voraus. Zahlreiche Tory-Abgeordnete dürften in diesem Fall ihre Mandate verlieren. (SDA/jmh)


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