Am Mittwochabend erreichte die Ukraine eine Hiobsbotschaft aus der polnischen Regierung: «Wir transferieren keine Waffen mehr an die Ukraine, weil wir uns selbst mit den modernsten Waffen ausrüsten», stellte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki (55) in einem Interview mit dem Sender Polsat klar. Blick beantwortet die drängendsten Fragen zur Zäsur an der «Anti-Putin-Front».
Was ist der Grund für den Lieferstopp?
Morawiecki führte aus, Polen habe seine Bestellungen für Rüstungsgüter enorm erweitert: «Wenn du dich nicht verteidigen willst, musst du etwas haben, womit du dich verteidigen kannst – zu dieser Regel bekennen wir uns.» Die Streitkräfte sollen so modernisiert werden, dass Polen über eine der stärksten Landarmeen Europas verfügen werde, sagte Morawiecki.
Selbstschutz ist also der offizielle Grund für den Lieferstopp. Mehrere polnische Nachrichtenportale, darunter der englischsprachige Dienst der staatlichen Nachrichtenagentur PAP, interpretierten Morawieckis Äusserung allerdings so, dass Polen vor dem Hintergrund des Konflikts um das Getreide seine Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen werde.
Allerdings kam es im Rahmen des TV-Interviews zu Verwirrung, ob Polen seine Waffenlieferungen an die Ukraine wirklich komplett einstellen wird. Eine Bitte auf Klarstellung von der Deutschen Presse-Agentur liess die polnische Regierung unbeantwortet.
Worum geht es im Getreide-Streit?
Der Getreide-Konflikt zwischen Polen und der Ukraine hat sich im September enorm zugespitzt. Denn Polen – gemeinsam mit Ungarn und der Slowakei – hat ein eigenes Importverbot für ukrainisches Getreide verhängt. Sehr zum Ärger von Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (45).
Zwischen den beiden Verbündeten kriselt es schon länger: Bereits im August haben die Länder gegenseitig ihre Botschafter einbestellt. Und der aussenpolitische Berater von Polens Präsident Andrzej Duda (51), Marcin Przydacz (38), hatte Anfang August im Fernsehen gesagt: «Die Ukraine sollte damit beginnen, das zu schätzen, was Polen für sie getan hat.»
Was würde ein polnischer Lieferstopp bedeuten?
Ein Lieferstopp wäre fatal. Polen ist nach den USA der zweitgrösste Geber von Waffen und militärischer Ausrüstung für die Ukraine und nach den USA und dem Vereinigten Königreich der drittgrösste Geber von Militärhilfe. Nach Angaben des Kieler Instituts hat Polen, das eine gemeinsame Ostgrenze mit der Ukraine hat, im vergangenen Jahr Militärhilfe in Höhe von 2,4 Milliarden Euro zugesagt.
Die Ankündigung von Polen ist eine schlechte Nachricht für die Ukraine, sagt Militär-Experte Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München, zu «Bild»: «Es liefert nach aussen ein katastrophales Erscheinungsbild, wenn einer der wichtigsten Unterstützer-Staaten der Ukraine dies ankündigt.»
Gibt es weitere Länder, die einen Waffenstopp planen?
Bisher hat noch kein weiteres Land einen Waffenstopp angekündigt. Allerdings könnte es passieren, dass die Slowakei – ein weiterer wichtiger Verbündeter der Ukraine – ihre Hilfe drosselt. Grund ist die steigende prorussische Stimmung, die sich auf die Wahlen am 30. September auswirken dürfte.
Eine Umfrage von Globsec hatte im Juni ergeben, dass in der Slowakei die antiwestliche Haltung europaweit am meisten zugenommen hat. 76 Prozent sind gegen EU-Sanktionen gegen Russland, 69 Prozent lehnen militärische Hilfe für die Ukraine ab. Ob die Ukraine aber wirklich einen weiteren Verbündeten verliert, wird sich zeigen.
Bröckelt jetzt die «Anti-Putin-Front»?
Es ist die grosse Hoffnung Russlands: Dass die westliche Einheit bröckelt, dass es Risse in der «Anti-Putin-Front» gibt. Mit dem Streit zwischen Polen und der Ukraine und der verhaltenen Begeisterung für ukrainische Anliegen an der Uno-Generalversammlung, scheint Kremlchef Wladimir Putin (70) diesem Ziel etwas nähergekommen zu sein.
Dass es aber tatsächlich zu einem Bruch kommt, der Russland begünstigen und die Ukraine benachteiligen könnte, bleibt fraglich. Noch immer unterstützen die meisten westlichen Nationen die Ukraine und haben kein Ende ihrer Unterstützung angekündigt.