Brisante Wahlen in der Slowakei – Prorussische Kräfte in Führung
Wird jetzt aus dem treuen Ukraine-Freund ein Gegner?

Ende September wählt die Slowakei ein neues Parlament. Die Gefahr ist gross, dass aus einem der treusten Ukraine-Unterstützer ein Russland-Freund wird.
Publiziert: 08.09.2023 um 17:02 Uhr
|
Aktualisiert: 09.09.2023 um 09:45 Uhr
1/17
Anfang Juli hiess die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski willkommen.
Foto: keystone-sda.ch
RMS_Portrait_AUTOR_242.JPG
Guido FelderAusland-Redaktor

Die kleine Slowakei mit knapp 5,5 Millionen Einwohnern zählt zu den grössten Unterstützern der Ukraine. Sie anerbot sich nicht nur Hunderttausenden Flüchtlingen als erster Zufluchtsort, sondern stellte der Ukraine auch die gesamte Kampfjet-Flotte mit 13 MiG-29 sowie ein Flugabwehrsystem zur Verfügung.

Kompensiert werden die Lieferungen durch einen höheren Schutz der Nato sowie durch Tschechien, Ungarn und Polen, die den Luftraum über der Slowakei sichern.

Im Mai sagte der slowakische Aussenminister Rastislav Kacer (58) kurz vor seinem Rücktritt, dass sein Land die Ukraine mit militärischem Gerät im Wert von «knapp unter 700 Millionen Euro» unterstützt habe. Und er stellte weitere Hilfe in Aussicht. Kacer: «Wir wollen Russland nicht als Nachbarn haben. Und ich glaube, dass Russlands Ansprüche nicht auf die Ukraine begrenzt bleiben.»

Prorussische Stimmung steigt

Doch jetzt droht plötzlich die ganze Unterstützung für das angegriffene Nachbarland im Osten zusammenzubrechen. Grund ist die steigende prorussische Stimmung, die sich auf die Wahlen am 30. September auswirken dürfte. Daniel Martinek (30) vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien sagt gegenüber Blick: «Ich halte die Bildung einer russlandfreundlichen Koalition für sehr wahrscheinlich.»

Eine Umfrage von Globsec hatte im Juni ergeben, dass in der Slowakei die antiwestliche Haltung europaweit am meisten zugenommen hat. Nur 40 Prozent der Slowaken betrachten Russland als Aggressor, 34 Prozent sagen, dass der Kreml durch den Westen provoziert worden sei. 76 Prozent sind gegen EU-Sanktionen gegen Russland, 69 Prozent lehnen militärische Hilfe für die Ukraine ab.

Russen betreiben Propaganda

Der inzwischen abgetretene Ministerpräsident Eduard Heger (47) bezeichnete im April in Wien sein Land als «ein Schlachtfeld». «Wir haben in der Slowakei eine russische Propaganda, die sehr präsent ist.» Die russische Botschaft «flute» das Land mit Desinformation, die Politiker übernehmen würden. Dies sei, so kurz vor den Wahlen, eine sehr gefährliche Situation.

Heger erhob schwere Vorwürfe gegen den früheren Ministerpräsidenten Robert Fico (58): «Der dreimalige Premier Fico ist der lauteste Fürsprecher der russischen Propaganda.» Diese sei für prowestliche Parteien im Land «eine grosse Herausforderung». Heger beklagte sich: «Wir haben unsere Werte für billiges Gas und Öl eingetauscht.»

Russland-Freund in Führung

Genau dieser Robert Fico hat gute Chancen, die kommenden Wahlen zu gewinnen. Mit 20 Prozent führte er im Juli die Popularitäts-Umfrageliste an. Er ist Chef der linksnationalistischen Partei SMER-SSD, die Erfahrung und Ordnung verspricht. Ebenfalls in einer Favoritenrolle steht Ex-Premier Peter Pellegrini (47) von der sozialdemokratischen Partei HLAS, der eine Zusammenarbeit mit seinem früheren Mentor Fico nicht ausschliesst.

Fico war zum letzten Mal Premier, als der Ringier-Journalist Jan Kuciak (†27) wegen seiner Recherche über Korruption und seine Lebensgefährtin Marina Kusnirova im Februar 2018 erschossen wurden. Anschliessende Massendemonstrationen gegen Korruption führten zum Rücktritt der Regierung. 2019 wählte das Land mit Korruptionsbekämpferin Zuzana Caputova (50) eine progressive Staatspräsidentin. Dennoch blieben in der Folge viele Korruptionsskandale bestehen.

Auf Radikale angewiesen

Kommt Fico an die Macht, braucht er in der Regierungskoalition nebst anderen die nationalistisch bis radikale Partei «Republik», um eine Mehrheit zu erreichen. Bei diesem Szenario sehen viele Beobachter schwarz. Daniel Martinek: «Die Möglichkeit ist gross, dass prorussische Stimmen innerhalb der Regierungskoalition die Mehrheit gewinnen und der künftigen russlandfreundlichen Aussenpolitik im Stile Orbans folgen.»

Zwar würde weder ein EU- noch ein Nato-Austritt zur Diskussion stehen. Die slowakische Regierung würde sich aber um die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu Russland bemühen und sich gegen die EU-Sanktionen stellen. Martinek: «Dann ist neben einer starken EU-skeptischen und antiwestlichen Aussenpolitik insbesondere mit dem Ende oder einer drastischen Reduzierung der slowakischen Militärhilfe für die Ukraine zu rechnen.»


Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?

Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?