In der Slowakei sind der Investigativ-Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte in ihrem Privathaus erschossen worden. Wahrscheinlichstes Motiv des Doppelmordes sei die Tätigkeit des Mannes gewesen, sagte Polizeipräsident Tibor Gaspar am Montag in Bratislava.
«Die Indizien weisen darauf hin, dass die Ermordung geplant war und nicht bei einer spontanen Auseinandersetzung erfolgte», sagte Gaspar. Die Opfer seien durch Schüsse in Kopf und Brust getötet worden. Die Tat löste Schock und Empörung auch im Ausland aus.
Der 27-jährige Kuciak hatte im Internetportal «aktuality.sk» regelmässig über Fälle von mutmasslichem Steuerbetrug berichtet. In seinem Visier hatte er dabei vor allem prominente Unternehmer, die nach seinen Recherchen Geschäftsverbindungen zu den regierenden Sozialdemokraten ebenso wie zu Kreisen der organisierten Kriminalität unterhalten haben sollen.
Einer dieser Unternehmer hatte Kuciak im vergangenen Herbst öffentlich gedroht. In der Drohung ging es allerdings nicht um Gewaltanwendung. Der Unternehmer Marian Kocner wollte über Kuciak und seine Familie ähnliche «Schmutzberichte sammeln», wie dieser über ihn, so hatte er gegenüber Medien erklärt.
Er erhielt Drohungen
Der Journalist hatte deswegen eine Strafanzeige gegen Kocner erstattet und sich später auf Facebook beschwert, dass die Polizei nach seiner Anzeige nichts unternommen habe. Anonym war ihm aber später von wohl anderer Seite auch mit dem «Ausradieren» seines Lebens gedroht worden.
Kocner gilt in der Slowakei seit über zwanzig Jahren als besonders schillernde Symbolfigur für Verbindungen zwischen Politik und zwielichtiger Geschäftemacherei. Der nun ermordete Kuciak und andere Journalisten sagten ihm geschäftliche Verbindungen zu Spitzenpolitikern bis hin zum umstrittenen Innenminister Robert Kalinak nach.
Gaspar versprach, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen, um den oder die vorerst unbekannten Täter auszuforschen. «Die Slowakei hat noch nie einen solch beispiellosen Angriff auf einen Journalisten erlebt», fügte der Polizeipräsident hinzu.
Journalisten sollten Drohungen melden
Er versprach ausserdem vorbeugende Schutzmassnahmen für andere Journalisten, die wegen ihrer Tätigkeit gefährdet sein könnten. Er bat darüber hinaus alle Journalisten, die sich bedroht fühlen könnten, um Kontaktaufnahme mit der Polizei.
Innenminister Robert Kalinak liess eine Belohnung von einer Million Euro für Hinweise auf den oder die Täter ausschreiben. Gerade Kalinak und Gaspar hatten in der Vergangenheit selbst wiederholt heftige Kritik an Aufdeckungsjournalisten geübt. Kalinak wird von den Medien seit längerem vorgeworfen, mutmassliche Steuerbetrüger zu schützen. Der Minister wies bisher jedoch alle solchen Vorwürfe zurück.
Ministerpräsident Robert Fico berief eine Krisensitzung mit dem Innenminister ein, an der auch der Generalstaatsanwalt sowie Polizeichef Gaspar und der Chef des Geheimdienstes teilnahmen.
Premierminister: «Abstossende Tat»
Alle wichtigen Spitzenpolitiker des Landes reagierten mit Entsetzen auf den Mord. Fico nannte ihn «eine abstossende Tat» und ergänzte: «Wenn sich ein Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit bestätigen sollte, wäre dies ein noch nie dagewesener Angriff auf Pressefreiheit und Demokratie im Land.»
Auch Tschechiens Regierungschef Andrej Babis und EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani äusserten sich schockiert über den Mord und forderten dringend Aufklärung. Er sei geschockt über den Mord, twitterte der stellvertretende Chef der EU-Kommission, Frans Timmermans.
Der Sohn der am 16. Oktober ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia machte der EU-Kommission am Montag schwere Vorwürfe. «Meine Familie hat die EU-Kommission gewarnt, dass Malta mit der Ermordung meiner Mutter Daphne Caruana Galizia einen neuen Standard für zulässiges Verhalten innerhalb der EU gesetzt hat und andere bald sterben würden, wenn nicht entschiedene Massnahmen ergriffen werden», twitterte er.
«Wir arbeiten konsequenter»
Der Medienkonzern Ringier Axel Springer, zu dem Kuciaks Nachrichtenportal gehörte, veröffentlichte eine Stellungnahme: «Wir sind entsetzt und fassungslos über die Nachricht, dass Jan Kuciak und seine Lebensgefährtin offenbar Opfer eines grausamen Attentats geworden sind. Auch wenn die Hintergründe noch nicht vollständig aufgeklärt sind, liegt der Verdacht nahe, dass das Verbrechen im Zusammenhang mit einer laufenden Recherche unseres Kollegen steht.»
Kuciak sei seit 2015 Redakteur des Newsportals Aktuality.sk. gewesen, welches zu Ringier Axel Springer Slovakia gehört. «Sollte das Attentat ein Versuch sein, einen unabhängigen Verlag wie Ringier Axel Springer Slovakia davon abzuhalten, Missstände aufzudecken, werden wir dies zum Anlass nehmen, unseren journalistischen Auftrag noch gewissenhafter und konsequenter auszuüben», hiess weiter.
Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, forderte in Berlin: «Die slowakischen Behörden müssen jetzt schnell aufklären, wie es zu dieser schockierenden Tat kommen konnte, obwohl Jan Kuciak schon vor Monaten bedroht wurde.» (SDA)