Der russische Präsident Wladimir Putin (70) plant offenbar einen Angriff auf das eigene Land, um die russische Bevölkerung von seinem Krieg gegen die Ukraine zu überzeugen.
So verbreite der Kreml derzeit gezielt Propaganda über einen bevorstehenden Anschlag auf die russische Region Belgorod, die nur 35 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt, wie aus einer aktuellen Analyse von Militärexperten des Washingtoner Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) hervorgeht.
So berichtet beispielsweise Leonid Petrowitsch Reschetnikow (75), pensionierter russischer Generalleutnant und ehemaliger Direktor des russischen Instituts für strategische Studien (SVR), auf Telegram von ukrainischen Truppen, die angeblich in Belgorod einmarschiert seien. «Es wird tatsächlich eine Offensive vorbereitet, vielleicht nicht eine, vielleicht zwei. Vielleicht wird auch ein Überfall vorbereitet.»
Keinerlei strategisches Interesse an einer Invasion Russlands
Laut Experten des ISW sei dies reine Propaganda. «Russische Behauptungen über einen bevorstehenden ukrainischen Angriff auf das Gebiet Belgorod sind absurd und zielen nur darauf ab, die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie den Krieg weiter unterstützt.»
Denn infolge der Teilmobilisierung im September und den militärischen Misserfolgen in Charkiw sinke die Unterstützung für den «unsinnigen» Krieg vor allem in den russischen Grenzregionen stark. Ein «ukrainischer» Angriff – oder eben eine «False Flag»-Operation Russlands – auf das grenznahe Belgorod soll hier Abhilfe schaffen.
Doch die Ukraine habe keinerlei strategisches Interesse an einer Invasion Russlands, kontert das ISW die russischen Behauptungen. Zudem seien die ukrainischen Truppen gar nicht in der Lage, einen Angriff dieses Umfangs auszuführen. Auch Mychajlo Podoljak (50), Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (44), warnt auf Twitter vor den «False Flag»-Operationen.
«Ich möchte die Situation nicht dramatisieren»
Das Narrativ eines ukrainischen Angriffs auf Belgorod kommt aber nicht nur dem Kreml zugute – auch Jewgeni Prigoschin (61), Gründer und Finanzier der berüchtigten Wagner-Gruppe, profitiert von dieser Angst. Ende Oktober begann «Putins Koch» mit dem Bau einer unabhängigen Befestigungsanlage in der Oblast Belgorod, die er als «Wagner-Linie» bezeichnet. So wolle er seine Rolle im Krieg nochmals festigen, schreibt das ISW.
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Der Gouverneur der Oblast Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow (53), veröffentlichte Bilder auf seinem Telegram-Kanal, die den Bau der Befestigungsanlagen zeigt. Er selbst spricht noch nicht von einem ukrainischen Angriff auf die Region und weicht der Frage auf Telegram aus: «Ich möchte die Situation nicht dramatisieren. In jedem Fall ziehen wir immer mehrere Optionen für den Verlauf der Ereignisse in Betracht: optimistische, pessimistische und gemässigte. Wir bereiten uns also auf verschiedene Szenarien vor. Ich hoffe, dass wir keine pessimistischen Optionen brauchen werden, aber wir ziehen sie aktiv in Betracht.»
Russen fühlen sich in Belgorod nicht mehr sicher
Durch die Nähe Belgorods zur ukrainischen Grenze sind die russische Stadt und die gleichnamige Oblast stark vom russischen Krieg in der Ukraine tangiert. Immer mehr Menschen verlassen die Stadt und ziehen weiter ins Landesinnere. Es herrscht düstere Untergangsstimmung, erzählt der oppositionelle Aktivist Ilja Kostjukow, der in Belgorod wohnt, der «Süddeutschen Zeitung».
Immer wieder treffen Geschosse Umspannwerke, Öldepots, Einkaufszentren und Wohnhäuser in der Stadt und in den grenznahen Dörfern. Dabei ist nicht klar, ob es sich um Beschüsse vonseiten der Ukraine oder um Teile der russischen Raketenabwehr handelt. Klar ist: Die Bewohner Belgorods fühlen sich nicht mehr sicher. Gefundenes Fressen also für die Propaganda aus dem Kreml.