Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (†62) war für den Tod Tausender verantwortlich – und wurde am Ende selber getötet. Der Tod des Milizenführers kommt wenig überraschend – schliesslich hat Kremlchef Wladimir Putin (70) am Tag des Putsches von «Verrat» gesprochen. Und Verrat, das betont Putin bei jeder Gelegenheit, ist «unverzeihlich».
Umso überraschender war die Zurückhaltung, mit der der Kreml Prigoschin unmittelbar nach der Tat zu behandeln schien. Prigoschin und seine Männer wurden lediglich ins belarussische Exil geschickt, der Wagner-Boss lebte bis zu seinem Tod auf freiem Fuss.
Doch die vermeintlich milde Reaktion des Kremls war kein Zeichen der Schwäche Putins, sondern eins der Stärke: Im Moment der Krise einen kühlen Kopf bewahren, um dann zu eigenen Bedingungen den Rachefeldzug zu starten.
Putin wendet Mafia-Logik in Russland an
Denn das Putin-Regime funktioniert im Wesentlichen nach der Logik eines Verbrechersyndikats, wie Russland-Experte Ulrich Schmid (57) erklärt. «Erwartet wird absolute Loyalität. Wer ausschert, wird mit dem Tod bestraft. Die Kreml-Elite um Putin hat den Staat mit seinen Institutionen gekapert und zwingt ihm seine menschenverachtende Gewaltlogik auf.» Im Reich Putins wird im Stil von Mafia-Banden abgerechnet. Er ist der Pate. Prigoschin war ein Capo, der offenbar seinen Platz nicht kannte. Und Putin hat nun nicht nur Prigoschin, sondern auch alle künftigen Widersacher in die Schranken gewiesen.
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Das war auch dringend nötig, erklärt Schmid. «Im Vordergrund steht für Putin die Absicherung seiner eigenen Machtposition in der russischen Elite. Mit dem Aufstand hat Prigoschin Putin persönlich herausgefordert, jetzt muss sich Putin wieder behaupten.» Das Bild des unzerstörbaren Autokraten hat Risse bekommen, die unbedingt gekittet werden müssen. Und das funktioniert am besten, wenn die Angst vor dem Regime bewahrt wird.
Prigoschins öffentliche Hinrichtung war der Höhepunkt dieser Strategie, aber nicht die einzige Konsequenz. Einen Tag vor dem Prigoschin-Absturz gab der Kreml bekannt, dass General Sergei Surowikin (56), Leiter der russischen Luft- und Raumfahrttruppen, abgesetzt wird. Diese Massnahme erfolgte im Zusammenhang mit dem Vorwurf, Surowikin sei ein Mitwisser des Söldneraufstands im Juni gewesen. Seitdem fehlt jede Spur vom 56-Jährigen. Im Juli erfolgte die Verhaftung des nationalistischen Kriegsverbrechers Igor Girkin (53) in Russland. Auch Girkin sorgte durch seine scharfe Kritik am Kreml für Aufsehen und forderte Putins Rücktritt.
Was passiert jetzt in Russland?
Das US-Forschungsinstitut, Institute for the Study of War, zieht die Schlussfolgerung, dass das Schicksal von Prigoschin als endgültige Warnung an potenzielle Gegner von Putin zu verstehen ist. Die Denkfabrik vermutet, dass Prigoschins Schicksal dazu dienen soll, Teile der russischen Streitkräfte abzuschrecken, die möglicherweise in Erwägung ziehen könnten, dem Präzedenzfall des Ungehorsams zu folgen.
Laut Experten des Thinktanks Atlantic Council wird nun eine Phase des internen Kräftemessens beginnen: «Es ist klar, dass Verteidigungsminister Sergei Schoigu (68) und General Waleri Gerassimow (67) diese Runde des Machtkampfes gewonnen haben, aber das Gerangel um die Macht in Moskau nimmt kein Ende», heisst es in einer Analyse. Umso wichtiger wird es für Putin, sich nur noch mit Personal zu umgeben, dem er vertrauen kann. Doch: Die Geschichte zeigt, dass ein Tyrann wie Putin zwar Agenten und Diener hat, aber keine echten Verbündeten oder Freunde.