«Wir wissen nicht mehr, wo es sicher ist», sagt Hatem R.* zu Blick. Der Deutsch-Palästinenser befindet sich gerade in Al-Mawasi. Einem Teil vom Gaza-Streifen. Dorthin wurden die Palästinenser von Israel auf Anweisung der Armee vertrieben. Offiziell hat Israel erklärt, das Vertriebenenlager nicht anzugreifen.
Vor Beginn seiner Bodenoffensive im Mai hatte Israel die rund zehn Kilometer von der Stadt Rafah entfernte Küstenortschaft zur «humanitären Zone» erklärt. Das bedeutet: Der Bereich gilt als «Safe zone», also als sicheres Gebiet. Keine Bomben, keine Angriffe. So das Versprechen. Trotzdem wird Al-Mawasi immer wieder beschossen.
Zuletzt am Freitag und Samstag, wie R. berichtet. «Es gibt viele Tote und Verletzte. Sie haben gerade ein Kind gerettet aus den Trümmern. Es musste mehrere Meter tief ausgegraben werden.» Während des Telefonats sind mehrere Sirenen zu hören.
«Hier sind viele Zivilisten, fast nur Frauen und Kinder. Wo sollen wir jetzt hin?»
Laut palästinensischen Angaben wurden mindestens 90 Menschen getötet. Mindestens 270 weitere Menschen seien in der humanitären Zone Al-Mawasi verletzt worden, teilte die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde mit. Viele von ihnen schwebten in Lebensgefahr, hiess es aus medizinischen Kreisen. Demnach wurden Zelte von Vertriebenen getroffen. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig verifizieren. Israels Armee teilte auf Anfrage mit, entsprechende Berichte zu prüfen.
Die Situation sei dramatisch, so R. weiter. «Hier sind viele Zivilisten, fast nur Frauen und Kinder. Wo sollen wir jetzt hin?» Sie alle würden darauf warten, dass der Horror ein Ende hat und sie wieder nach Hause können. Doch ein Ende des Gaza-Krieges ist nicht in Sicht.
Israels Armee äusserte sich nicht
Laut unbestätigten israelischen Medienberichten soll das Ziel der Führer des militärischen Arms der Hamas, Mohammed Deif, gewesen sein. Unklar blieb dabei, ob Deif getroffen, verletzt oder getötet wurde. Israels Armee äusserte sich auf Anfrage zunächst nicht zu den Berichten der Zeitung «Israel Hayom» sowie des israelischen Kan-Senders.
Die israelische Zeitung «Haaretz» hatte zuvor gemeldet, die Armee gehe davon aus, dass sich der Chef der sogenannten Kassam-Brigaden unter den Opfern befinde. Die Hamas bestritt laut einer Erklärung einen israelischen Angriff auf ihre Führung nahe der Stadt Chan Junis im Süden des Küstengebiets.
Ein Ziel Israels im Gaza-Krieg ist es, Deif sowie den Hamas-Führer im Küstengebiet, Jihia al-Sinwar, gefangenzunehmen oder zu töten. Sie gelten als die beiden wichtigsten Anführer der Organisation innerhalb des Gazastreifens. Im März hatte die Armee die Tötung des dritthöchsten Hamas-Führers im Gazastreifen, Marwan Issa, gemeldet.
«Israel will Gaza leer bomben»
Es ist nicht die erste Attacke, die R. erlebt. Erst Ende Mai hatte ein Bombenangriff auf Al-Mawasi weltweit für Schlagzeilen gesorgt. 45 Menschen wurden dabei getötet. Das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium machte indes Israel für den Beschuss verantwortlich. Israel wies die Vorwürfe zurück.
Ein israelischer Armeesprecher sagte, dass «eine erste Untersuchung darauf hindeutet, dass es keine Anzeichen für einen Angriff» der Armee in Al-Mawasi gebe. Bilder und Videos aus der Region, die auf den sozialen Medien kursieren, sprechen allerdings eine deutliche Sprache.
Für R. ist klar: Israel versucht die Palästinenser mit den blutigen Angriffen aus dem Gebiet zu vertreiben. «Israel will Gaza leer bomben, ohne Rücksicht auf Verluste.»
Hilfsorganisationen bezeichnen die humanitäre Lage im Gaza-Streifen als verheerend. Der Grossteil der gut zwei Millionen Einwohner ist auf der Flucht, es mangelt ihnen am Nötigsten, vielen Menschen haben nicht genug zu essen.
Der Deutsche kann nicht verstehen, warum die Welt dabei zusieht und nichts unternimmt. «Wir sind alleine. Gaza gegen die ganze Welt.»
* Name bekannt