Für Philippe Lazzarini (60) steht fest: «Es gibt radikale Siedler, die sich im Westjordanland wie Terroristen verhalten. Sie sollten sanktioniert werden.» Diese Forderung erhob der Schweizer Chef des Palästinenser-Hilfswerks der Vereinten Nationen im März beim Interview mit Blick – doch in der Schweiz blieb sein Plädoyer unerhört: Der Bundesrat wird die EU-Sanktionen gegen militante Siedler nicht übernehmen. Dies bestätigte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gegenüber Blick.
Ein Hindernis für den Frieden
Im März hatte Brüssel Strafmassnahmen gegen israelische Siedler angekündigt. Aktuell sind gegen vier der Extremisten und zwei ihrer Organisationen Sanktionen verhängt. Sie dürfen nicht in EU-Mitgliedsländer einreisen. Auch wurden, soweit möglich, ihre Vermögenswerte eingefroren. Grundlage sind europäische Vorschriften zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverstössen. Die USA haben gegen militante Israelis ebenfalls Sanktionen erlassen.
Hintergrund sind Gewalttaten extremistischer Siedler gegen Palästinenser in israelisch besetzten Gebieten, die nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober deutlich zugenommen haben. Neben dem Terror der Hamas sind der völkerrechtswidrige Siedlungsbau und das Verhalten radikaler Siedler zentrale Hindernisse für einen Frieden im Nahen Osten. Mit den Sanktionen soll die israelische Justiz motiviert werden, entschlossen gegen die Gewalt der Siedler vorzugehen und Palästinenser zu schützen.
Siedler greifen palästinensische Städte an
Die sogenannte Hügeljugend ist bekannt dafür, palästinensische Städte mit brennenden Fackeln in Brand zu setzen. Dabei handelt es sich um eine radikale Strömung der israelischen Siedlerbewegung, die illegale Siedlungen auf palästinensischem Territorium gründet und mit Gewalt gegen Palästinenser vorgeht – beides ist auch nach israelischem Recht strafbar.
Der Bundesrat hat bis heute keine diesbezüglichen Sanktionen der EU übernommen. «Die Verwaltung prüft, was es bedeuten würde, wenn man die thematischen Sanktionen gegen die vier israelischen Siedler übernehmen würde», teilte Seco-Ressortleiterin Rebekka Strässle kürzlich Mitgliedern der Aussenpolitischen Kommission mit. «Mit der Verwaltung muss nun vertieft diskutiert werden, was für ein Signal es wäre, wenn wir zum ersten Mal solche Sanktionen übernehmen würden.»
Sanktionen gegen Hamas, nicht gegen Israel
Bereits am 10. April hat der Bundesrat Finanzsanktionen und Reisebeschränkungen gegen sechs Personen beschlossen, die sich an der Finanzierung der Hamas und der Terrororganisation des palästinensischen islamischen Dschihad beteiligen. «Damit hat sich die Schweiz Sanktionen der EU angeschlossen, die direkt einen Bezug zu den Terroranschlägen, aber nicht zu sexualisierter oder geschlechtsspezifischer Gewalt haben», sagte Strässle zu den Parlamentariern.
Mittlerweile steht fest: Die Schweiz wird die radikalen israelischen Siedler nicht sanktionieren. Zwar verurteile die Schweiz die Gewalttaten von Siedlern gegen palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten im Westjordanland einschliesslich Ost-Jerusalem, betont das Seco. Auch rufe die Schweiz Israel regelmässig dazu auf, «alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um die palästinensische Bevölkerung vor Siedlergewalt zu schützen». In einer Güterabwägung sei die Verwaltung jedoch zum Schluss gekommen, die thematischen EU-Sanktionen nicht zu übernehmen.
Bund verschont auch Terrororganisationen
Davon profitieren jedoch nicht nur die radikalen israelischen Siedler, sondern auch Teile der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihads. Am 12. April erliess die EU gegen drei palästinensische Teilorganisationen Sanktionen. Zusammen mit dem Aussendepartement (EDA) und dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) beschloss das Seco jedoch, auch nicht gegen palästinensische Extremisten vorzugehen.
Das Nachbarland Liechtenstein hingegen kam zu einer anderen Einschätzung: Es hat alle EU-Sanktionen übernommen.