Der OP-Saal ist ungewöhnlich dunkel. Nur eine Lampe spendet den Ärzten Licht. Sie operieren gerade am offenen Herzen eines Kindes. Dank eines Generators laufen noch die wichtigen Geräte im Hintergrund. Denn das Herzinstitut in Kiew war ohne Strom. Der Grund: Die russische Armee hatte am Mittwoch erneut das Stromnetz in der Ukraine angegriffen.
Nach dem russischen Beschuss war in Kiew am Mittwoch die Wasser- und Stromversorgung ausgefallen. Auch in anderen Teilen des Landes gab es nach Angaben der ukrainischen Behörden Blackouts. In der westukrainischen Stadt Lwiw wurde bei Raketenangriffen ein Umspannwerk beschädigt. In zwei Stadtteilen fiel laut Gouverneur Maxym Kosyzky daraufhin der Strom aus.
Drei ukrainische Atomkraftwerke mussten wegen des heftigen Beschusses vom Stromnetz getrennt worden. Wegen der massiven Stromausfälle seien alle Reaktoren der Atomkraftwerke Riwne, Piwdennoukrainsk und Chmelnyzka automatisch vom Stromnetz getrennt worden, teilte der staatliche Betreiber Energoatom mit.
«Verbrechen gegen die Menschlichkeit»
Insgesamt feuerte Russland am Mittwoch nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe am Mittwoch rund 70 Marschflugkörper ab, von denen 51 von der ukrainischen Flugabwehr abgeschossen wurden. Auch fünf Kamikaze-Drohnen vom Typ Lancet seien zerstört worden. Beim Angriff auf Kiew wurden nach Angabe von Bürgermeister Vitali Klitschko (51) drei Menschen getötet, darunter auch ein 17-jähriges Mädchen. Bei einem russischen Angriff auf ein Spital im Süden der Ukraine wurde nach ukrainischen Angaben zudem ein Neugeborenes auf der Entbindungsstation getötet. Landesweit gab es nach Angaben von Polizeichef Igor Klymenko (50) am Mittwoch mindestens sechs Tote und 36 Verletzte.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) hat die russischen Angriffe auf das ukrainische Stromnetz bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» verurteilt. «Wenn wir Temperaturen unter Null Grad haben und Millionen von Menschen ohne Energieversorgung, ohne Heizung und ohne Wasser sind, ist das ein offenkundiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit», sagte Selenski am Mittwoch in seiner Videoansprache. Die anhaltenden russischen Angriffe setzen der Ukraine schwer zu.
Selenski warf Moskau «Terror und Mord» vor und wies den ukrainischen UN-Botschafter an, eine Dringlichkeitssitzung zu dem heftigen Raketenbeschuss auf Kiew zu beantragen. «Die Ermordung von Zivilisten, die Zerstörung von ziviler Infrastruktur sind Terrortaten», erklärte er vor der Sitzung auf Twitter. Die internationale Staatengemeinschaft müsse darauf eine «entschlossene Antwort» geben. (AFP/jmh)