Offener Bruch in Lützerath
Grüne und Klima-Aktivisten zerfleischen sich

Das deutsche Dorf Lützerath soll zur Gewinnung von Braunkohle weggebaggert werden. Dagegen wehren sich vor Ort zahlreiche Klimaaktivisten. Ironie des Schicksals: Der Deal wurde ausgerechnet von Grünen eingefädelt.
Publiziert: 12.01.2023 um 17:32 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2023 um 10:16 Uhr
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Im Weiler Lützerath südwestlich der deutschen Stadt Düsseldorf haben sich Klimaaktivisten verbarrikadiert.
Foto: AFP
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Georg NopperRedaktor News

Verrat. Heuchelei. Bei den Klimaschützern in Deutschland fliegen die Fetzen. Die Besetzung des Weilers Lützerath durch Aktivisten zeigt dies gerade in aller Deutlichkeit. Mit der Aktion wehren sich die Teilnehmer gegen den geplanten Abbau des dortigen Braunkohlevorkommens. Die Bewilligung für die Arbeiten wurde ausgerechnet von Grünen erteilt: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (53) und die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (45) handelten im vergangenen Oktober mit dem Energiekonzern RWE einen Deal aus. Demnach dürfen im Gegenzug für eine Vorverschiebung des Ausstiegs aus dem Braunkohleabbau von 2038 auf 2030 die Kohlevorkommnisse in Lützerath ausgebeutet werden.

Das Ampel-Bündnis der Bundesregierung steht unter Druck: Spätestens bis am 15. April dieses Jahres soll der Atomausstieg vollzogen werden. Dazu kommt die Energiekrise – aufgrund des Ukraine-Krieges fliesst kein russisches Gas mehr nach Deutschland. Wie soll man das alles gleichzeitig schaffen? Lützerath bot Abhilfe. Zugleich wurde die Laufzeit von zwei Braunkohlekraftwerken, die zum Jahresende hätten stillgelegt werden sollen, bis Ende März 2024 verlängert. Die Braunkohlevorräte von Lützerath müssen in den Augen der Bundesregierung dabei helfen, eine drohende Stromlücke zu überbrücken.

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250 Kilo Braunkohle vor Parteizentrale

Bei der Basis der Grünen, bei vielen Jungpolitikern und Klima-Aktivisten sorgt dies für grossen Unmut. Sie fühlen sich hintergangen. Lützerath führt gar zu einer regelrechten Zerreissprobe innerhalb der Klimabewegung. Das zeigt sich unter anderem darin, dass einige Klimaschützer die Grünen bereits abgeschrieben haben. Am Dienstag kippten Aktivisten 250 Kilo Braunkohle-Briketts vor die Parteizentrale der Grünen in Düsseldorf. «Im Wahlkampf den Klimaschutz plakatieren. Nach der Wahl mit RWE paktieren!», war auf Bannern zu lesen. «Wir wollten den Grünen den Spiegel vorhalten, dass sie nicht mehr die Partei der Klimaschützer sind, sondern die Kohle-Partei», sagte ein Sprecher der Aktivisten.

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Einige Grüne solidarisieren sich offen mit den Lützerath-Aktivisten. Dazu gehört etwa der Co-Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, Timon Dzienus (26), der sich am Mittwoch vor Ort unter die Leute mischte und mit gestreckter Faust auf Twitter posierte. Der Umstand, dass gerade die Grünen den Deal mit RWE ermöglicht hatten, sorgte mitunter für bizarre Situationen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger (35) etwa redete sich bei einem TV-Interview in Lützerath in die Bredouille. Als sie vom TV-Moderator darauf angesprochen wurde, dass der Braunkohleabbau durch einen Grünen-Minister ermöglicht wurde, wagte sie es nicht, die Parteiführung zu kritisieren. Stattdessen flüchtete sie sich in Floskeln: «Also die Ursache des Problems ist, dass jahrzehntelang die Energiewende verschlafen worden ist.» Zudem bemühte sich Henneberger, den offenkundigen Bruch zwischen der Klimabewegung und den Grünen unter den Teppich zu kehren: Sie sei als Grünen-Mitglied ungeachtet der Unterstützung ihrer Partei für den Kohle-Deal nach wie vor im Kreis der Klima-Aktivisten willkommen.

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Belastungsprobe in Berlin

Aktivistin Luisa Neubauer (26), Anführerin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung und ebenfalls Mitglied der Grünen, hält sich mit Kritik an der Partei nicht zurück. «Manche Dinge sind zu schön, um wahr zu sein», schreibt sie auf Instagram. «Und diese grüne Erzählung vom Kohleausstieg 2030, der auf magische Art sowohl für RWE und das Klima gut sein soll, ist so etwas.» Der Hauptkritikpunkt der Klima-Aktivisten an den Grünen: Bei dem Deal mit RWE werde die Kohlemenge trotz vorgezogenem Ausstieg nicht begrenzt und somit keine einzige Tonne CO₂ eingespart. Inzwischen hat auch die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg (20) angekündigt, an einer für Samstag angesetzten Protestaktion gegen die Räumung von Lützerath teilzunehmen.

Für die Grünen kommt es indes schon bald zu einer weiteren Belastungsprobe. Am 12. Februar findet in Berlin eine Wiederholungswahl statt, bei der die Grüne Bettina Jarasch (54) sich zur Regierenden Bürgermeisterin wählen lassen möchte. Der Streit um Lützerath kommt für sie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. «Wir werden am Wochenende keine Flyer für die Wahl verteilen, sondern stellen uns an die Seite der Bewegung in Lützerath», sagt eine Sprecherin der Grünen Jugend Berlin zur «Taz». «Das hat gerade die Priorität.» Mit bis zu acht Bussen wolle man am Samstag zur Demo in Lützerath anreisen.

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