Proteste, besetzte Bagger, Strassenbarrikaden auf Landstrassen – im nordrhein-westfälischen Lützerath ist die Lage zusehends angespannt. Das von Klimaschützern besetzte Dorf im rheinischen Braunkohlerevier steht wegen eines Aufenthaltsverbots kurz vor der Räumung. Polizeikräfte sind seit Anfang der Woche im Einsatz, um Arbeiten des Energieversorgungskonzerns RWE zu unterstützen, dem der Ort inzwischen vollständig gehört.
Etwa 300 Menschen sollen sich nach Angaben von Klimaaktivisten derzeit in Lützerath aufhalten, um Bauarbeiten von RWE zu blockieren. Seit Anfang der Woche trifft die Polizei nun Vorbereitungen, um das Dorf zu räumen. Dabei wurden von Aktivisten auch Barrikaden errichtet, zudem wurden Einsatzkräfte mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen.
RWE fördert im rheinischen Revier westlich von Köln Braunkohle. Im Bereich des Nordreviers liegt auch die Ortschaft Lützerath. Das inzwischen unbewohnte Dorf soll abgebaggert werden, weil RWE den Tagebau Garzweiler ausdehnen und die unter dem Ort liegende Kohle fördern will.
Mehr Kohlebedarf wegen Energiekrise
Der Essener Energiekonzern einigte sich im Oktober mit den von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen auf ein Ende der Braunkohleverstromung bis 2030 statt wie vorher 2038. Zugleich wird damit die Laufzeit von zwei Braunkohlekraftwerken, die zum Jahresende stillgelegt werden sollten, bis Ende März 2024 verlängert.
Um die bis 2030 benötigten Kohlemengen zu fördern, bedarf es nach Behördenangaben der Kohle unter Lützerath. Laut dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium wird die Kohle auch gebraucht, um in der Energiekrise die Braunkohlewirtschaft mit hoher Auslastung zu betreiben.
Wegen der Energiekrise gebe es einen «erhöhten Braunkohlebedarf, der zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit benötigt wird», heisst es offiziell. Expertenberichte der Coalexit Research Group und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kamen zuletzt hingegen zu dem Ergebnis, dass die Energieversorgung in der Krise auch ohne die Kohle unter Lützerath möglich wäre.
Wird das Dorf für einen Kohleausstieg geopfert?
Klimaschützer kämpfen für den Erhalt des Dorfs und wollen einen Abriss verhindern. Sie fordern ein Räumungsmoratorium. Sie warnen vor Schäden für Umwelt und Tiere und sehen das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaschutzabkommens gefährdet. Umweltaktivisten warfen den Grünen vor, für die Einigung mit RWE auf einen Kohleausstieg 2030 den Ort Lützerath zu «opfern».
Deshalb gab es zuletzt immer wieder Proteste gegen das Vorrücken des Tagebaus. Die Umweltschützer schlossen sich dafür zum Aktionsbündnis Lützerath unräumbar zusammen, zu dem auch Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation gehören. Sie wollen nach eigenen Angaben in Lützerath «für globale Klimagerechtigkeit» kämpfen. (AFP/jmh)