Die steile politische Karriere von Sebastian Kurz (35) hat ein abruptes Ende genommen. Gestern hat der ehemalige Kanzler Österreichs bekannt gegeben, dass er per sofort alle politischen Aktivitäten einstellen werde. Als Grund nannte er seinen Sohn Konstantin, den seine gleichaltrige Freundin Susanne Thier am 27. November geboren hat. Kurz: «Bei der Geburt ist mir bewusst geworden, dass es auch abseits der Politik viel Schönes gibt.»
Kathrin Stainer-Hämmerle (52), Professorin für Politwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten (A), erklärt, was dieser Schritt für Österreich bedeutet.
Blick: Frau Stainer-Hämmerle, wie überraschend kommt für Sie der Rückzug von Sebastian Kurz?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Persönliche Entscheidungen kommen immer überraschend. Aber der Rücktritt wurde ja bereits mit dem «Seitentritt» Anfang Oktober eingeleitet, als Kurz als Kanzler zurücktrat.
Warum kommt dieser Schritt gerade jetzt?
Der Rückhalt für Kurz ist geschwunden, sichtbar bei Umfragen, aber auch innerhalb der eigenen Partei. Bevor nun öffentlich Druck entsteht und um Schaden von der Regierung und auch der ÖVP abzuwenden, hat Kurz einen günstigen Zeitpunkt gewählt, um dies noch als eigene Entscheidung darzustellen und sich somit gesichtswahrend aus der Politik zu verabschieden.
Kurz sagt, dass er wegen seines Kindes zurücktritt. Was ist der wahre Grund? Ist dieser Schritt nicht auch ein Schuldeingeständnis?
Nein, er gibt zwar zu, nicht alles richtig gemacht zu haben, aber er stellt es als persönliche Entscheidung dar und betont seine Unschuld. Er stellt sich auch mehrmals vor sein Team und bedankt sich. Unbestritten ist es aber ein Vorteil für ihn, dass die gerichtlichen Ermittlungen auf die strafrechtliche Ebene reduziert werden und nicht mehr das Sittenbild rund um Kurz so in der Öffentlichkeit steht.
Ist später mit einem politischen Comeback zu rechnen?
Nein. Comebacks in der Politik sind schwer und können schwer auf einer unteren Ebene erfolgen. Nach dem Bundeskanzleramt bleibt da wohl nichts mehr ausser eine Karriere in der Privatwirtschaft.
Wie entwickelt sich Österreich ohne Kurz?
Ich rechne mit Veränderungen auch in anderen Parteien, daher werden wohl die Karten neu gemischt. Stabile politische Mehrheiten werden aber immer schwieriger, die Polarisierung nimmt zu, pandemiebedingt auch innerhalb der Bevölkerung. Der Rücktritt von Kurz bietet eine Chance, dass die ÖVP als Partei der Mitte dieser Entwicklung aktiver entgegentritt in alter Tradition als Volkspartei.
Wie ist Ihre Bilanz über Kurz’ Karriere?
Kurz hat mit seinem Versprechen eines neuen Stils grosse Hoffnung geweckt. Aber er ist gescheitert, und sein neuer Stil hat sich doch eher als ein alter, rein machtorientierter entpuppt. Österreich ist ein Beispiel, dass rechtspopulistische Elemente nicht erfolgreich für konservative Parteien sind.