Das vorläufige Ende eines Wunderknaben
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Rücktritt von Sebastian Kurz
Das vorläufige Ende eines Wunderknaben

Die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz ging am Samstag zu Ende – auf seine Art: Er teilt gegen die Grünen aus und behält in seiner Partei die Macht.
Publiziert: 09.10.2021 um 22:26 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2021 um 17:55 Uhr
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Weist alle Vorwürfe zurück: Sebastian Kurz.
Foto: keystone-sda.ch
Reza Rafi

Am Samstagabend gab Sebastian Kurz auf. Um 19.40 Uhr trat er in Wien vor die Presse und erklärte, sein Amt als österreichischer Bundeskanzler niederzulegen. Er wolle «Platz machen, um Chaos zu verhindern», sagte er. Aussenminister und ÖVP-Kamerad Alexander Schallenberg soll die Geschäfte übernehmen.

In seiner Rede gab er sich kämpferisch: Er kündigte an, Partei- und Fraktionschef zu bleiben, bestritt alle Anschuldigungen und teilte gegen seine grünen Koalitionspartner aus, die ihn fallengelassen hatten.

Happige Vorwürfe

Es ist das Ende der Bilderbuchkarriere des einst gefeierten Polit-Talents. Aber nur das vorläufige.

Zuvor waren happige Vorwürfe an Sebastian Kurz bekannt geworden: Der Kanzler soll, so der Verdacht der Justiz, in den Redaktionen manipulierte Umfragen und Jubelberichte gekauft haben. Dafür gabs vom Steuerzahler finanzierte Inserate des Finanzministeriums. Gegen den gewieften Jongleur der Macht wird ermittelt: Der Verdacht lautet auf Beihilfe zur Bestechlichkeit.

Grünen wenden sich von Kurz ab

Am Mittwoch hatte die Polizei eine Razzia im Bundeskanzleramt durchgeführt – zum ersten mal in der Zweiten Republik. Seitdem sah Kurz, für den die Unschuldsvermutung gilt, seine Felle in der Donau davonschwimmen.

Seine grünen Regierungspartner hatten sich am Freitag von ihm abgewandt. Kurz’ Partei, die ÖVP, müsse jetzt einen «untadeligen» Nachfolger aufstellen, forderte der grüne Vizekanzler Werner Kogler. Sein bisheriger Regierungschef sei «nicht mehr amtsfähig» – ein Satz wie ein Schlag in Kurz’ Magengrube. Dabei bestreitet er die Kritik gegen ihn vehement. Er wolle sich «mit allen rechtlichen und auch demokratischen Mitteln, die in unserem Rechtsstaat zur Verfügung stehen», gegen «alle falschen Vorwürfe» wehren.

Am Samstag hat sich die Chefin der Sozialdemokraten, Pamela Rendi-Wagner, definitiv als Nachfolgerin des 35-Jährigen ins Spiel gebracht. Sie werde sich notfalls auch mit Stimmen der rechtspopulistischen FPÖ absichern, hiess es bald. Kurz giftelte dazu, man werde eine Regierung «von Herbert Kickls Gnaden» zu verhindern wissen.

Immer mehr Details

Jeden Tag tauchen neue Details aus den Untersuchungsakten auf, die ein Sittengemälde von Kurz’ engstem politischen Zirkel zeichnen, dem «System Kurz», wie manche sagen. Seine Getreuen üben sich in devoten Bezeugungen. «Ich bin dein Prätorianer», heisst es da zum Beispiel.

Justiziabel ist so etwas noch nicht, aber für das Publikum höchst unterhaltsam. Brot und Spiele eben. Kurz wiederum bekannte am Samstag, dass er manche Nachrichten heute nicht mehr schreiben würde: «Ich bin ein Mensch mit Emotionen und mit Fehlern.»

Fest steht: Kurz hat 2017 in einem Parforce-Ritt die angeschlagenen Christdemokraten neu aufgestellt und mit der «neuen Volkspartei ÖVP» in türkiser Farbe Wahl um Wahl gewonnen.

Zweiter Regierungs-Skandal seit 2019

In der Migrationspolitik markierte er Härte, schloss die Balkanroute und ging rigoros gegen die Entstehung islamischer Parallelgesellschaften vor. Kritiker werfen ihm Populismus und die Anbiederung an rechtsnationale Kreise vor. Seine Anhänger preisen ihn dafür, dass er mit dieser Politik die rechte FPÖ geschwächt hat, erst recht nach der Ibiza-Affäre von 2019. Sein damaliger Vizekanzler HC Strache rutschte in die Bedeutungslosigkeit ab, FPÖ-Chef Herbert Kickl und Kurz sind sich bis heute spinnefeind. Kurz bildete stattdessen eine Koalition mit den Grünen, mit denen es gestern zum Bruch kam.

Woher der Hang in Felix Austria, im glücklichen Österreich, zu stets grossen politischen Dramen kommt, kann nur vermutet werden. Ist es noch immer die habsburgische Prägung aus der einstigen k. u. k. Monarchie? Schliesslich erinnern manche Turbulenzen zuweilen eher an höfische Intrigen als an ein modernes Politwesen.

Auch Verleger bestreitet die Vorwürfe

Nach dem Ibiza-Skandal sagte der Wiener Medienmogul Wolfgang Fellner 2019 im SonntagsBlick: «Was die anderen Länder an Dramen haben, wird bei uns zur Operette. Wir sind das Land der Operette. Was hier gerade passiert, ist teilweise so peinlich und absurd, das könnte kein Drehbuchschreiber erfinden.»

Die Ironie der Geschichte: Als Verleger der Zeitung «Österreich» ist Fellner selber Teil der aktuellen Entwicklung. Sein Blatt soll es gewesen sein, das sich von Kurz bestechen liess, was Fellner bestreitet.

Nun ist die geschichtsträchtige österreichische Nation um eine Operette reicher.

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