Noch nie zuvor waren die Weltmeere zu dieser Jahreszeit so heiss wie jetzt. Im Schnitt lag die Temperatur am 11. Juni bei 20,9 Grad Celsius, wie Daten von der Universität von Maine zeigen. Damit liegen sie 0,2 Grad über dem letzten Rekord aus dem Jahr 2022. Die bisherigen Höchsttemperaturen für dieses Jahr wurden bereits am 1. April mit 21,1 Grad erreicht.
Überraschend ist das leider nicht. Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich, erklärt auf Anfrage: «Die abnormalen Meeresoberflächentemperaturen bauen sich schon seit Monaten auf.» Und eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Es ist eine alarmierende Entwicklung – da sind sich Forschende auf der ganzen Welt einig.
Aber wieso werden unsere Meere ausgerechnet jetzt so warm? Thomas Frölicher ist Klimyphysiker an der Uni Bern und erklärt: «Vor allem der menschengemachte Klimawandel ist an der aktuellen Hitzewelle schuld.» Aber nicht nur – es gebe auch natürliche Klimaschwankungen.
Wassertemperatur wirkt sich auch auf Land aus
So abstrakt wie die aktuelle Situation klingen mag, so real sind die Auswirkungen. «Wenn das Wasser wärmer wird, dehnt es sich aus, wodurch der Meeresspiegel ansteigt», so Frölicher. «Ausserdem schmelzen die Eiskappen schneller, was ebenfalls zu einem höheren Meeresspiegel führt.»
Und nicht nur das: «Solche extreme Temperaturschwankungen haben auch Auswirkungen auf die Organismen im Meer.» Konkret sind vor allem Warmwasserkorallen – wobei das Great Barrier Reef das berühmteste Beispiel ist –, Fische und Algenwälder in Gefahr. Kurz zusammengefasst: «Die Ozeane stehen unter Dauerstress.»
Die steigenden Temperaturen im Meer ziehen auch Folgen auf Land mit sich, erklärt Frölicher. «Die Wahrscheinlichkeit für Hitzewellen und Trockenperioden, aber auch Starkniederschlagereignisse wird dadurch grösser.»
Mehr Hurrikans wegen Meeres-Hitzewelle?
Besonders stark sind die Veränderung im Nordatlantik. Die Temperaturen im Nordatlantik steigen in der Regel im Sommer an und erreichen Ende August oder Anfang September ihren Höhepunkt. Am 5. März erreichte die Durchschnittstemperatur 19,9 Grad und übertraf damit den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2020 um 0,1 Grad. Tendenz: Steigend.
Das ist besonders für den amerikanischen Kontinent besorgniserregend, wo am 1. Juni offiziell die Hurrikan-Saison begonnen hat. Der Nordatlantik gilt als Brutstätte für Hurrikans, wie der amerikanische Meteorologe Ben Noll auf Twitter schreibt. «Die Region hat eine Durchschnittstemperatur von 28 Grad und übertrifft damit den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2005.» 2005 war laut ihm eine der aktivsten Hurrikansaisons aller Zeiten.
Der Blob, der den Pazifik kochte
Dass es in den Weltmeeren Hitzewellen gibt, ist nicht neu. Bereits vor acht Jahren gab es ein ähnliches – wenn auch viel länger anhaltendes – Phänomen im Pazifik, wie ETH-Klimaforscher Nicolas Gruber sich erinnert. Im Jahr 2015 erlebte der Nordpazifik die grösste jemals aufgezeichnete marine Hitzewelle, die als «Blob» bekannt wurde. Auf seinem Höhepunkt im Jahr 2015 bedeckte der Blob etwa 4 Millionen Quadratkilometer des Ozeans und erstreckte sich von Alaska bis Baja California.
«Der Blob hatte enorme Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme, und er zwang Fische und andere Organismen, auf der Suche nach kühleren Lebensräumen umzuziehen», so Gruber. Ausgedehnte Blüten schädlicher Algen hatten auch verheerende Auswirkungen auf die Muschel- und Krabbenfischerei, was wiederum zu einem massiven Sterben von Seevögeln, Robben und Seelöwen führte, führt Gruber in einem Artikel für «Carbon Brief» aus.
Gruber bezeichnet den Blob von damals als «wirklich aussergewöhnlich» – einerseits aufgrund der Grösse und der Dauer, schliesslich hielt sich diese Hitze über mehrere Jahre. Ob sich die aktuelle Rekordtemperatur im Nordatlantik zu einer Art «Blob 2.0» entwickeln könnte, steht zum jetzigen Zeitpunkt aber noch in den Sternen. «Es ist auf jeden Fall noch nicht vergleichbar», so Gruber.