Am 14. April versank die Moskwa im Schwarzen Meer – eines der wichtigsten russischen Kriegsschiffe. Was genau geschah, ist bis heute ungeklärt. Die Ukrainer sagen, sie hätten die Moskwa mit Raketen getroffen. Die Russen hingegen geben an, eigene Fehler hätten zum Untergang geführt.
Ebenso rätselhaft ist, was mit der Besatzung geschehen ist. Bis zu 500 Matrosen haben auf dem Kreuzer Platz. Die Ukrainer sagen, unzählige Personen seien gestorben. Die Russen bestätigen einen Toten und sprechen von 27 Vermissten. Die übrigen 396 Besatzungsmitglieder hätten angeblich gerettet werden können.
Was bleibt, sind viele offene Fragen. Niemand will Antworten so dringend wie die Angehörigen der russischen Soldaten. Eine von ihnen ist Alexandra Kolesnikowa*, die Mutter eines vermissten Matrosen. In der Nacht bliebe sie wach und frage sich, ob ihr Konstantin noch lebe. Oder ob ihr Sohn auf dem Meeresgrund liege. In solchen Nächten könne sie nur weinen, erzählt Kolesnikowa dem «Spiegel» am Telefon.
«Seit dem Untergang haben sie uns ständig etwas anderes erzählt»
Auch Kolesnikowa weiss nicht, wie das Schiff gesunken ist. «Was ich aber weiss, ist, dass sie etwas verbergen wollen. Seit dem Untergang haben sie uns ständig etwas anderes erzählt», sagt sie. Mal habe es geheissen, es gebe eine gross angelegte Rettungsaktion, man melde sich bei ihr, helfe. Dann habe nur noch Schweigen geherrscht: «Nicht mal mehr in die Spitäler haben sie uns gelassen, um unsere Kinder zu suchen.»
Erst nach zehn Tagen hätten sie und andere Angehörige eine Einladung erhalten, um mit Vertretern der Schwarzmeerflotte sprechen zu können. Kurz vor diesem Termin habe sie beim Verteidigungsministerium angerufen. Dort habe sie wissen wollen, wo ihr Sohn sei. Sie könne sich noch gut daran erinnern, wie die Stimme am Telefon sagte: «Der Name Ihres Sohnes steht nicht auf der Liste der Verwundeten, Toten und Vermissten.» Sie habe nachgefragt, was das bedeute. «Ihr Sohn ist im Dienst», habe die Stimme geantwortet. Kolsenikowa blieb nur ungläubiges Staunen.
Als sie aber zum vereinbarten Gespräch mit Vertretern der Schwarzmeerflotte erschien, habe ein Admiral gesagt, Konstantin gelte weiterhin als vermisst. Und man wolle ihn als Helden ehren. Als sie nachgefragt habe, wie es dann sein könne, dass der Name ihres Sohnes nicht auf der Liste der Vermissten auftauche und das Verteidigungsministerium ihr sagte, er sei im Dienst, soll der Admiral geantwortet haben: «Das kann nicht sein. Das ist eine Falschnachricht.»
«Sie haben uns belogen. Kalt und zynisch von Anfang an.
Sie habe den Vertretern der Schwarzmeerflotte viele Fragen gestellt. Antworten habe sie nie wirklich erhalten: «Sie haben uns belogen. Kalt und zynisch von Anfang an. Und belügen uns noch immer», sagt sie dem «Spiegel».
Nun müsse sie darum selber herausfinden, was passiert sei. Sie versuche, das Geschehene wie bei einem Puzzle zusammenzusetzen. Das sei mühsam, die Besatzungsmitglieder des Raketenkreuzers hätten Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnen müssen. Das hätten auch andere Verwandte bestätigt, heisst es im Bericht.
Mit 15 Angehörigen von ihnen tauscht sich Kolesnikowa aus. Der Druck auf die Hinterbliebenen sei inzwischen gross. Von zehn Freunden und Verwandten, die der Spiegel kontaktierte, wollten demnach nur drei sprechen.
Alle Anrufe bringen nichts
Die Schwarzmeerflotte hat den Familien der vermissten Wehrdienstleistenden ein Schreiben zur Unterschrift vorgelegt, wie der «Spiegel» weiter berichtet. Damit sollen sie zum Schweigen gebracht werden. Tauch- und Sucharbeiten am Wrack seien schliesslich erfolglos geblieben, sei den Angehörigen mitgeteilt worden.
Auch Kolesnikowa hat diese Auskunft bei einer Sonderhotline bekommen. Sie rief mehrmals dort an, um nach dem Verbleib ihres Sohnes zu fragen. Irgendwann gab sie auf. Das Hoffen, das Herzklopfen jedes Mal, sei einfach zu viel gewesen, sagt sie.
Im Brief sei davon die Rede, dass die Soldaten «infolge eines Unglücks» vermisst werden. Ihr Tod solle durch ein Gericht festgestellt werden.
«Ich kann doch nicht mein eigenes Kind verleugnen»
Andere Eltern hätten den Brief des Militärs unterschrieben. Über sieben Millionen Rubel seien ihnen in Aussicht gestellt worden als Kompensationszahlung, etwas über 100'000 Franken. Dazu eine monatliche Unterstützung von wenigen Hundert Franken.
Kolesnikowa aber habe sich geweigert: «Ich kann doch nicht mein eigenes Kind verleugnen, wenn ich nicht weiss, was passiert ist, wo es ist.» Sie sei empört, dass die Kommandanten ihren Sohn «einen Helden, vermisst im Kampf» nennen, auf dem Papier aber nur die Rede von einem «Unglück» ist. Das passe alles nicht zusammen.
Das Geld und die Ehrenmedaillen, die ebenfalls versprochen wurden, interessierten sie auch nicht, sagt Kolesnikowa. «Die können sie sich irgendwo hinstecken. Wie kann ein Stück Metall meinen Sohn ersetzen?»
* Name vom «Spiegel» geändert