Die Krise in den deutsch-russischen Beziehungen wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny verschärft sich weiter. Als Vergeltung für die Ausweisung eines deutschen Diplomaten aus Russland verwies das Auswärtige Amt am Montag einen Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin des Landes.
Der Diplomat sei zur «unerwünschten Person» (persona non grata) erklärt worden, teilte das Ministerium mit. Damit haben die ohnehin schon schwer angeschlagenen Beziehungen zwischen beiden Ländern einen weiteren Tiefpunkt erreicht.
Auch Polen und Schweden reagieren
Russland hatte am Freitag nach Demonstrationen in ganz Russland für eine Freilassung Nawalnys und gegen Präsident Wladimir Putin drei Diplomaten aus Deutschland, Polen und Schweden ausgewiesen. Sie hätten am 23. Januar an nicht genehmigten Protesten teilgenommen, hiess es zur Begründung. Solche Aktionen seien unvereinbar mit dem diplomatischen Status.
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Auch Polen und Schweden wiesen am Montag jeweils einen russischen Diplomaten aus. Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte, die russische Strafmassnahme in der vergangenen Woche sei «in keiner Weise gerechtfertigt» gewesen. «Der betroffene deutsche Diplomat war allein seiner im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vorgesehenen Aufgabe nachgekommen, sich mit rechtmässigen Mitteln über die Entwicklung vor Ort zu informieren.»
Die russische Botschaft in Berlin bezeichnete die Ausweisung als «unbegründete und unfreundliche Massnahme», die nicht zu einer positiven Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen beitrage. «Wir bedauern, dass Berlin in letzter Zeit immer häufiger auf offensichtliche Konfrontationsmassnahmen gegenüber Russland zurückgreift», hiess es in einer Erklärung, in der die Botschaft ihrerseits mit Vergeltung drohte. «Jegliche unfreundliche Schritte werden auch weiterhin angemessen und verhältnismässig erwidert.»
Beziehung zwischen den Ländern ist angespannt
Aussenminister Heiko Maas (SPD) hatte bereits am Freitag gesagt, dass die Ausweisung das Verhältnis Russlands zu Europa weiter beschädige. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer «weiteren Facette in dem, was ziemlich fernab von Rechtsstaatlichkeit im Augenblick gerade in Russland zu beobachten ist».
Das deutsch-russische Verhältnis war schon vor der Vergiftung Nawalnys in der Krise. Dazu haben zwei Ereignisse massgeblich beigetragen: Der bisher grösste Cyber-Angriff auf den Bundestag im Jahr 2015, für den russische Hacker verantwortlich gemacht werden. Und der Mord an einem Georgier tschetschenischer Herkunft in Berlin im August 2019, den nach den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft die russische Zentralregierung in Auftrag gegeben hat.
Strafmassnahmen zwischen EU und Russland
Der Fall Nawalny bringt das Fass jetzt aber endgültig zum Überlaufen. Deutschland spielt hier eine besondere Rolle, weil sich der russische Oppositionelle nach seiner Vergiftung in Russland hier auskurierte - bevor er dann nach seiner Rückkehr in die Heimat verhaftet und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Zwischen Russland und der EU gibt es nun schon seit einiger Zeit ein hin und her aus Strafmassnahmen und Vergeltung. Diesmal war Moskau zuerst am Zug.
Das russische Staatsfernsehen führte die ausgewiesenen EU-Diplomaten wie Kriminelle vor: Es veröffentlichte Bilder von Überwachungskameras, kreiste die Diplomaten mit Grafiksymbolen auf der Strasse in der Menschenmenge ein und nannte sie mit vollem Namen und Funktion. «Er ging mit Absicht zielgerichtet ins Epizentrum der Ereignisse und begab sich dorthin, wo fast die meisten Leute waren», sagte der Sprecher der Nachrichtensendung über den Mitarbeiter der deutschen Botschaft.
Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach
In westlichen Diplomatenkreisen war anschliessend von einem «Schlag unter die Gürtellinie» und von einer «hinterlistigen Inszenierung» die Rede. unüblich für den Umgang zwischen Europa und Russland. Verschärfend kommt hinzu, dass der russische Aussenminister Sergej Lawrow den EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell vorführte, der in Moskau zu Gast war, als die Ausweisung bekanntgegeben wurde.
Solche Praktiken zerstörten nicht nur Vertrauen, sondern auch die vielfach bei Diplomaten vorhandenen Sympathien für Russland, hiess es in den Diplomatenkreisen. Mancher fühlte sich da an Moskaus Methoden aus dem Kalten Krieg, an die finsteren kommunistischen Zeiten erinnert. Beobachter gehen davon aus, dass das lange nachwirken werde.
Sanktionen der EU werden erwartet
Es ist davon auszugehen, dass als Nächstes wieder Sanktionen der EU folgen. Sie werden bereits vorbereitet. Kanzlerin Merkel und ihre Regierung stecken aber in einem Dilemma.
Je tiefer die deutsch-russischen Beziehungen in die Krise stürzen, desto schwerer wird es, an der Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Deutschland und Russland festzuhalten, die sie noch als vorwiegend wirtschaftliches Projekt behandelt. Den Fall Nawalny will sie damit nicht verknüpfen - jedenfalls noch nicht. (SDA)