Nach dem Messer-Mord an einem Lehrer in Frankreich am Freitag und der Tötung von zwei schwedischen Fussballfans in Brüssel am Montag erhöhen europäische Länder die Terror-Warnstufe. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson (59) hat seine Landsleute in Belgien aufgerufen, wachsam zu ein. In Mailand (I) hat die Polizei am Dienstag zwei Verdächtige verhaftet, die dem Islamischen Staat (IS) nahestehen sollen.
Ist der Terror in Europa wieder zurück? Wer ist im Visier der Islamisten? Nicolas Stockhammer (48), Wissenschaftlicher Leiter der Forschungsabteilung Counter-Terrorism, Countering Violent Extremism and Intelligence an der Donau-Universität Krems (A) sowie Autor des Buches «Trügerische Ruhe», beantwortet die drängendsten Fragen.
Kommt eine neue Terrorwelle auf Europa zu?
«Das ist leider durchaus möglich. Die aktuelle Konfliktlage in Israel, die Konsolidierung der Taliban in Afghanistan und die Koranverbrennungen in Schweden haben eine beflügelnde Wirkung auf die islamistischen Szenen in Europa. Nachahmer-Attentate durch Trittbrettfahrer sind nicht auszuschliessen.»
Welche Rolle spielt dabei der aktuelle Nahostkonflikt?
«Die Rolle der Hamas und der pro-palästinensischen Anhängerschaft in Europa kann militante Islamisten zu Gewalt anspornen. Propagandistisch ausgeschlachtete Bilder von palästinensischen zivilen Opfern haben das Potenzial, auch in unseren Breitengraden eine weitere Radikalisierung voranzutreiben. Generell ist der Nahostkonflikt, wenn er sich weiter erhitzt, ein stimulierender Faktor für die terroristische Bedrohung durch den Dschihadismus in ganz Europa.»
Mit welcher Art von Anschlägen müssen wir rechnen?
«Derzeit ist von Low-Level-Attentaten durch radikalisierte Einzeltäter oder kleineren Zellen auszugehen. Sowohl Szenarien mit Hieb- und Stichwaffen, Schnellfeuergewehren aber auch mit improvisierten Sprengsätzen sind denkbar.»
Wen nehmen die Attentäter ins Visier?
«Nach meiner Beurteilung rücken momentan vermehrt jüdische und israelische Ziele sowie Personen in den Fokus von Dschihadisten. Absichern muss man auch die ‹Unterstützer Israels›, die durch ihre Anteil- und Parteinahme ins Visier von Extremisten geraten sind. Aber ebenso punktuell – wie Brüssel gezeigt hat – schwedische Ziele und Personen, sehr wahrscheinlich aufgrund der Koranverbrennungen. Diese Einschätzung ist beliebig erweiterbar und situativ anzupassen.»
Wo schlagen sie zu?
«Im Brennpunkt stehen zuerst grössere europäische Metropolen wie Brüssel, Paris, London oder Berlin, da hier die Aufmerksamkeit sehr hoch ist. Dschihadisten haben allerdings auch immer wieder in kleineren Städten wie etwa in Würzburg (D), Ansbach (D) und Magnanville (F) zugeschlagen, wenn es einen konkreten, lokalen Bezug des Attentäters gegeben hat.»
Wer sind die Täter?
«Radikalisierte Einzeltäter oder kleinere Zellen. Die meisten der Attentäter sind junge Männer, Migranten aus muslimischen Herkunftsländern – häufig amtsbekannt, einschlägig vernetzt – mit einer Vergangenheit in der Kleinkriminalität und einer Historie der Haft. Jedoch auch hier sind die Profile nicht immer identisch.»
Ist auch die Schweiz in deren Fokus?
«Definitiv. Aufgrund des Primats der Aufmerksamkeit. Und es gibt eine durchaus ausgeprägte dschihadistische Szene in der Schweiz – Stichwort Winterthur. Dort war eine Zelle in engem Austausch mit dem späteren Attentäter von Wien.»
Wie kann man Anschläge verhindern?
«Durch die 3 Ks: Kooperation, Koordination und Kommunikation. Diese drei Elemente sind ein wesentlicher Bestandteil einer gelingenden Prävention.»