Auf einen Blick
Israel hat das Machtvakuum seit dem Sturz von Bashar al-Assad (59) genutzt, um die militärische Infrastruktur Syriens mit Luftangriffen zu zerstören. Zudem sollen die von Israel besetzen Golanhöhen noch stärker besiedelt werden. Damit verfolgt die Regierung von Benjamin Netanyahu (75) einen klaren Plan.
Israel will Fakten schaffen: Die israelische Regierung hat am Sonntag einen Plan zur Investition von umgerechnet rund 10 Millionen Franken in die besetzten Golanhöhen gebilligt. Der Plan hat eine Verdoppelung der dortigen Bevölkerung zum Ziel, teilte das Büro von Netanyahu mit. Gegenwärtig leben auf dem Felsplateau mehr als 50’000 Menschen, gut die Hälfte jüdische Israelis, der Rest Drusen und schiitische Alawiten.
Netanjahu sagte während der Regierungssitzung: «Die Stärkung des Golans bedeutet die Stärkung Israels, und sie ist in dieser Zeit besonders wichtig.» Man werde am hügeligen Hochplateau «festhalten, es zum Blühen bringen und besiedeln» – und es damit langfristig an Israel binden.
Angriffe und Hisbollah-Nachschub unterbinden
Israels Truppen sind zudem über die Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen nach Syrien vorgerückt. Die Armee rückte damit in eine entmilitarisierte Pufferzone ein, die unter der Überwachung der Uno steht. In der Pufferzone liegt auch der Gipfel des Berges Hermon (2814 m), den Israels Armee schon am 8. Dezember besetzt hatte. Am letzten Freitag hatte Verteidigungsminister Israel Katz (69) die Armee angewiesen, einen Verbleib auf dem Gipfel für die kommenden Wintermonate vorzubereiten – auch die Pufferzone soll also längerfristig gehalten werden.
Der Berg Hermon hat strategische Bedeutung. «Dies ist der höchste Ort in der Region, mit Blick auf den Libanon, auf Syrien und Israel», erklärte Efraim Inbar, Direktor des Jerusalem Institute for Strategy and Security (JISS), gegenüber CNN. «Er ist strategisch äusserst wichtig.»
Die Golanhöhen sind insgesamt etwa 60 Kilometer lang und 25 Kilometer breit. Sie wurden im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert und 1981 annektiert. Nach internationalem Recht gilt das Gebiet als von Israel besetztes Territorium Syriens. Der frühere und künftige US-Präsident Donald Trump (78) hatte die Golanhöhen im März 2019 formell als Staatsgebiet Israels anerkannt und damit eine Kehrtwende in der US-Aussenpolitik vollzogen.
Mehr als 500 Ziele bombardiert
In einem Telefongespräch mit Trump betonte Netanyahu am Wochenende erneut seine friedlichen Absichten. «Wir haben kein Interesse an einem Konflikt mit Syrien», sagte er. Jedoch sei Syrien jahrzehntelang ein «aktiver Feindstaat» gewesen und habe Israel wiederholt angegriffen.
Auch habe Syrien dem Iran erlaubt, die Hisbollah-Miliz im Libanon über sein Territorium zu bewaffnen. «Um sicherzustellen, dass sich dies nicht wiederholt, haben wir in den letzten Tagen eine Reihe intensiver Massnahmen ergriffen», sagte Netanjahu – auch mit Blick auf die Bombardierung strategischer militärischer Einrichtungen im Nachbarland.
Insgesamt sollen die israelischen Streitkräfte schon mehr als 500 syrische Ziele aus der Luft angegriffen haben. In der Nacht zum Montag hat Israel etwa Militärstandorte in der syrischen Küstenregion Tartus angegriffen. Die Detonation eines Munitionsdepots löste sogar ein kleines Erdbeben aus. Mit den Angriffen dezimiert Israel das militärische Potenzial Syriens.
Vorgehen stösst auf Kritik
Das Vorpreschen Israels stösst auf Kritik. Deutschland hat Israel aufgefordert, den Plan zur Verdoppelung der Bevölkerung auf den Golanhöhen aufzugeben. Gerade jetzt sei es entscheidend, dass alle Akteure die territoriale Integrität Syriens respektierten, betonte Christian Wagner, Sprecher des Aussenministeriums.
Auch Saudi-Arabien, das Golfemirat Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate verurteilten die Entscheidung Israels, die Besiedelung der Golanhöhen auszuweiten. Die Türkei kritisierte am Montag, Israel wolle so «seine Grenzen erweitern».
Am Samstag hatte sich auch der Anführer der islamistischen Rebellengruppe Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) zum ersten Mal seit dem Sturz Assads zu Israel geäussert. In einem Interview mit dem Fernsehsender Syria TV sagte Abu Mohammed al-Dschulani (42), dass Israel «keine Ausreden mehr» für Luftangriffe in Syrien habe und dass die jüngsten Angriffe Israels auf syrischem Boden rote Linien überschritten hätten. Es drohe eine Eskalation in der Region.
Israel nutzt die unübersichtliche Situation in Syrien gerade, um seine Position zu stärken – doch der Ausgang ist noch ungewiss.