Auf einen Blick
Benjamin Netanyahu (75) lässt keine Chance ungenutzt, um mit neuen militärischen Manövern von sich Reden zu machen. Jüngstes Beispiel: der Vorstoss israelischer Panzer in die seit 1974 von Uno-Truppen gesicherte Pufferzone in den syrischen Golanhöhen. Israels Premierminister will inmitten des syrischen Debakels Tatsachen schaffen. Koste es, was es wolle.
Seit Tagen macht Israel mit Hunderten Luftschlägen gegen syrische Ziele klar, dass man der instabilen Situation nicht traut und lieber gleich alle militärischen Kapazitäten im arabischen Nachbarland ausschaltet, damit sie nicht «in falsche Hände» geraten. Über Nacht haben israelische Kampfjets mehrere Militärflugplätze, Munitionslager und syrische Kriegsschiffe bombardiert. Dass Netanyahu zu den Angriffen aus der Luft jetzt aber auch noch Panzer und Eliteeinheiten in Richtung Syrien beordert hat, hat viele Beobachter überrascht – und dürfte seinen syrischen Widersachern paradoxerweise jetzt sogar in die Hände spielen.
Netanyahus heimlicher Übersetzungs-Trick
Der westliche Teil der zu Syrien gehörenden Golanhöhen ist seit 1967 von Israel besetzt. Seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 stehen Uno-Truppen in einer extra geschaffenen Pufferzone zwischen dem von Israel besetzten und dem syrischen Gebiet. Der fragile Frieden hielt 50 Jahre lang. Doch am Sonntag rollten Israels Panzer in die Pufferzone (und laut unbestätigten Angaben weit darüber hinaus bis auf 25 Kilometer an Damaskus heran), während Soldaten der Elite-Einheit Shaldag einen syrischen Militärposten in den eisigen Höhen des 2814-Meter-hohen Berges Hermon einnahmen.
Netanyahu reiste höchstpersönlich an die syrische Grenze, um vor der wehenden israelischen Flagge den «historischen Tag» zu feiern. «Wir reichen allen jenseits unserer Grenzen in Syrien die Hand des Friedens: den Drusen, den Kurden, den Christen und den Muslimen, die in Frieden mit Israel leben wollen», sagte der Regierungschef.
Seine Armee habe auf den Golanhöhen «temporäre Verteidigungspositionen» bezogen, schreibt Netanyahus Sprecher in einer Mitteilung auf Englisch. Im hebräischen Original ist der temporäre Charakter des Feldzuges allerdings nicht erwähnt, wie der britische «Economist» feststellt.
Israel liefert syrischen Rebellen ungewollt Schützenhilfe
Klar ist: Israel hat kein Interesse daran, in Syrien nebst dem Krieg in Gaza, seinem illegalen Vorrücken im Westjordanland, dem instabilen Waffenstillstand mit dem nördlichen Nachbarn Libanon und der Dauerangst vor dem Erzfeind Iran eine neue Kriegsfront zu eröffnen. Das Vorrücken auf den syrischen Golanhöhen aber könnte genau das zur Folge haben.
Noch sind die verschiedenen Fraktionen im Post-Assad-Syrien zu sehr mit sich selbst und der ungeklärten Frage nach dem «Wie weiter» beschäftigt. Ein äusserer Feind wie Israel aber könnte den uneinigen Rebellen durchaus als willkommenes Feindbild dienen, um über interne Differenzen hinwegzuschauen.
Kommt hinzu: Die Familie von Ahmed al Sham (42), der unter seinem Kämpfernamen Abu Mohammed Al-Dschulani die Miliz Haiat Tahrir al-Scham in Syrien zum Sieg geführt hat, kommt aus den Golanhöhen. Al Sham, mutmasslich der neue starke Mann in Syrien, dürften die israelischen Panzer auf den strategisch wichtigen Golanhöhen ein Dorn im Auge sein.
Netanyahu sieht sich als grosser Sieger
Israels Vordringen auf den Golanhöhen dürfte unmittelbar allerdings kaum Auswirkungen haben. US-Präsident Joe Biden (82) wird sich an der jüngsten militärischen Aggression des ungeliebten Kollegen aus Jerusalem nicht die Finger verbrennen wollen. Donald Trump (78) hat bereits deutlich gemacht, dass er sich aus Syrien raushalten will. Und der Iran – das zeigt Israels ungesühntes Vordringen überdeutlich – ist so schwach wie selten zuvor.
Netanyahu sieht sich selbst bereits als grossen Sieger der Ereignisse in Syrien. Der Untergang von Diktator Bashar al-Assad (59) sei «eine direkte Folge» des israelischen Kampfes gegen die libanesische Hisbollah, die Assad in den Jahren zuvor stets Schützenhilfe geleistet hatte, sagte Netanyahu.