Auf einen Blick
- Assads Gefängnissystem aufgedeckt: Hunderttausende Menschen jahrelang in Militärgefängnissen gefangen
- Islamistische Rebellen befreiten Hunderte Insassen und zeigten unmenschliche Haftbedingungen
- Über 100 Gefängniseinrichtungen gehörten zu Assads System, darunter berüchtigte Folterknäste
Bei den Bildern und Erzählungen stockt einem der Atem. Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien wird immer deutlicher klar: Unzählige Menschen vegetierten jahrelang in Militärgefängnissen vor sich hin. Islamistische Rebellen befreiten während ihrer Offensive durch Damaskus Hunderte Insassen und zeigten in den sozialen Medien die Bedingungen, die während ihrer Gefangenschaft herrschten.
Neue Details legen das brutale Gefängnissystem offen, welches das Regime unter Diktator Baschar al-Assad (59) über Jahre errichtet hat. Zum Gefängnis-Apparat gehörten über 100 Einrichtungen. Der berüchtigtste Knast steht in Saydnaya im Norden von Damaskus.
Foltermaschine und Quäl-Seile
Das «Höllengefängnis» wurde zum Synonym für willkürliche Inhaftierungen, Folter und Mord. Es beherbergte neben unterirdischen Zellen offenbar auch eine sogenannte «Foltermaschine». Bilder zeigen eine Eisenpresse, die vermutlich zum Brechen von Knochen eingesetzt wurde. Überall lagen laut Medienberichten zudem rote Seile herum. Beobachter glauben: Damit wurden Häftlinge an Wänden aufgehängt oder ihre Gliedmassen eingeschnürt. Zudem sollen sie ständig die Augen verbunden bekommen haben.
Reporter des arabischen Fernsehsenders Al-Jazeera erhielten Zugang zum Militärspital Harasta im Umland von Damaskus erhalten. Die Klinik gilt nach Angaben von Mitarbeitern als Sammelstelle für die Leichen von Menschen, die entweder unter Folter gestorben oder hingerichtet worden waren.
Sexuelle Gewalt an Frauen
«Der Anblick hier ist grauenhaft. Der Gestank ist unerträglich», sagte ein Reporter, der aus der Leichenhalle des Spitals berichtete. «Einige Leichen zeigen deutliche Anzeichen von Folter. Ich kann einige frische Blutflecken und Namen auf den weissen Leichentüchern entdecken.»
Wie eine Insassin gegenüber der «Dailymail» berichtet, stand sexuelle Gewalt für Frauen an der Tagesordnung. Mariam Khleif wurde mehrmals vergewaltigt. «Um Mitternacht brachten sie die schönen Mädchen jeweils zum Oberst. Dort wurden sie vergewaltigt.»
Grausamer Folterknecht nannte sich «Hitler»
Einer der Männer unter Assads Herrschaft soll besonders grausam gehandelt und gequält haben. Verschiedene englische und amerikanische Medien berichteten bereits über den brutalen Folterknecht, der sich selber Hitler nannte und regelmässig Freunde zu seinen sadistischen Abendessen einlud.
Dabei mussten die Gefangenen teils Tische oder Stühle mimen und andere sich wie Tiere verhalten. So soll er sie gezwungen haben, zum Beispiel wie ein Hund zu bellen, wie eine Katze zu miauen oder, wie ein Hahn zu krähen. Verkörperten die Gefangenen ihre Rollen nicht zufriedenstellend, wurden sie härter geschlagen, heisst es.
Wie «Bild» schreibt, rauchte der Sadist selber während der Soiree Wasserpfeife und trank Schnaps. Wenn er als «Hitler» seine «Tiere» streichelte, sollten die anderen Eifersucht kundtun. Passierte das nicht im gewünschten Ausmass, drohten erneut harte Schläge.
Andere wurden in Reifen gequetscht, an den Handgelenken aufgehängt und mit Säure verbrannt oder in bitterer Kälte an Zäune gefesselt und mit Wasser besprüht, heisst es in den Berichten weiter. Eine Foltermethode, die Parallelen zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern aufweist. In den 40er-Jahren halfen die Nazis dabei, den syrischen Geheimdienst aufzubauen, was den unmenschlichen Horror erst möglich machte. Neben anderen Insassen mussten sich die Gefangenen ihre Zellen auch mit Leichen teilen.
Selbst für syrische Gefängnisse soll dieses besonders grausam gewesen sein. Das erzählte ein Student 2019 gegenüber der «New York Times». Auch er war dort inhaftiert und wurde während 12 Tagen gefoltert. Auch den gefürchteten Wachmann namens «Hitler» habe er kennengelernt. Ein Bild von ihm gibt es aktuell nicht. Die Rebellen kündigten aber an, Assads Folterer zu enttarnen. Dieser bestritt die systematische Folter stets.
Online-Suche nach den Liebsten
Nach dem Sturz des Assad-Regimes strömten Menschen unter der gleissenden Sonne zur Einrichtung, um nach ihren Liebsten zu suchen. Einige hatten Erfolg, andere suchten vergeblich nach ihren Angehörigen.
Seit dem Zusammenbruch des Regimes nahmen viele verzweifelte Syrer die Dinge selbst in die Hand. Sie durchforsteten die sozialen Medien nach dem Verbleib ihrer Liebsten. Mittels extra aufgeschalteten Online-Portalen soll die Suche erleichtert werden. Auch diverse Telegram-Kanäle verpflichten sich den Familienzusammenführungen. Während einige mit dieser Methode Erfolg haben dürften, besteht für andere kaum Hoffnung. Denn: Es wird angenommen, dass sich Tausende Häftlinge in Massengräbern befinden.
Islamisten setzen Belohnung für Hinweise aus
Der Anführer der Rebellen hat eine Übersicht mit Ex-Beamten angekündigt, die an Folter beteiligt gewesen sein sollen. Die von den künftigen syrischen Behörden zu veröffentlichende Liste werde «die Namen der ranghöchsten Beamten enthalten, die in die Folterung des syrischen Volkes verwickelt sind», schrieb Abu Mohammed al-Dschulani im Onlinedienst Telegram.
«Wir werden Belohnungen für jeden anbieten, der Informationen über hochrangige Armee- und Sicherheitsoffiziere für uns hat», so al-Dschulani.