Der deutsche Ampel-Streit eskaliert zwischen Kanzler Olaf Scholz (66) und dem geschassten Finanzminister Christian Lindner (45) zum offenen Schlagabtausch. Scholz bezeichnete Lindner als «kleinkariert» und «fachfremd», Lindner beschoss Scholz mit Beschimpfungen wie «unambitioniert» und «diktatorisch».
Nach dem erwarteten Zusammenbruch der Ampel-Regierung werden bald vorgezogene Neuwahlen erwartet. Da wittert die im Osten massiv aufstrebende AfD ihre grosse Chance, das Kanzleramt zu erobern. Wie realistisch ist dieses Szenario? Wir sagen dir, ob der Ampelbruch zum grossen Rechtsrutsch führt.
Schlägt jetzt die Stunde der AfD?
Natürlich freut sich die AfD über den Bruch der Ampel. Sie bezeichnet ihn als eine «Befreiung» für Deutschland und wird wohl tatsächlich vom Versagen der Ampelparteien profitieren. Die Erfolgswelle, die sie bei den Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg vor wenigen Wochen ausgelöst hatte, dürfte auf die nationalen Wahlen überschwappen. Nach einem vorübergehenden Absturz hat sie seit Ende Mai in nationalen Umfragen wieder von 16 auf 18 Prozent zugelegt.
Diese Zahlen reichen aber nicht, dass die AfD ihre Bundessprecherin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel (45) zur Regierungschefin machen kann. Denn keine Partei will mit der AfD koalieren. Lediglich mit einem – kaum realistischen – Stimmenanteil von über 50 Prozent wäre die AfD als Kanzler-Lieferantin gesetzt.
Profiteurin des Ampel-Aus wird voraussichtlich die CDU/CSU sein. Nach der Pleite bei den letzten Wahlen mit einem Stimmenanteil von nur 24,2 Prozent hat sich die Union in Umfragen auf 33 Prozent steigern können. Somit sind die Chancen für CDU-Chef Friedrich Merz (68) zurzeit am grössten, neuer Kanzler zu werden. In diesem Fall stünde eine Koalition mit der SPD im Vordergrund. Im Gegensatz zur aktuellen Regierung wäre das ein klarer Rechtsrutsch.
Wie können SPD und Grüne in einer Minderheit regieren?
Kanzler Scholz hat angekündigt, im Januar die Vertrauensfrage zu stellen. Neuwahlen könnten im März stattfinden. Bis dahin würden SPD und Grüne in einer Minderheitsregierung zusammenarbeiten – auf Bundesebene ein Novum. Zusammen kommen die beiden Parteien nur auf 324 Sitze im zurzeit 733-köpfigen Bundestag. Um Gesetze durchzubringen, müsste die Regierung bei jedem einzelnen Geschäft neue Partner finden, was das Regieren erschwert.
Die Union und die AfD fordern jedoch umgehende Neuwahlen, weil sie die linke Regierung möglichst bald stoppen und das Volk entscheiden lassen wollen. Die Umfragen sprechen schliesslich für sie. Die Bürgerlichen haben nicht nur Angst vor einem gebremsten Regierungsbetrieb, sondern auch davor, dass die aktuelle Regierung vor dem vollständigen Zusammenbruch noch Gesetze durchboxen kann.
Scholz ist inzwischen der CDU einen Schritt entgegengekommen und hat Gespräche mit Merz angeboten. Er wolle mit ihm in Fragen wie Verteidigung und Wirtschaft «gern und konstruktiv» zusammenarbeiten.
Wie schlimm ist das Ampel-Aus für Deutschland?
Der Bruch sorgt für vorübergehende Instabilität. Doch Ökonomen bezeichnen ihn als richtigen Schritt im Sinne von «lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende».
Marcel Fratzscher (53), Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: «Die Entscheidung des Bundeskanzlers zur Beendigung dieser Regierung zu diesem Zeitpunkt ist riskant. Sie dürfte jedoch das geringere Übel im Vergleich zu einer Fortsetzung der politischen und wirtschaftlichen Paralyse sein.» Mit baldigen Neuwahlen könne man eine neue, handlungsfähige Regierung aufstellen und den Gordischen Knoten lösen.
Welche Auswirkungen hat die deutsche Krise auf die Schweiz?
Ökonomen sind davon überzeugt, dass die Krise auch die Schweiz erfassen wird. Alberto Silini (50), Europaexperte bei Switzerland Global Enterprise, sagte vor kurzem gegenüber Blick: «Betroffen sind vor allem die direkten und indirekten Zulieferer der Autobranche.»
Allerdings zeige sich die Schweiz gegenüber importierten Krisen recht resistent, meint Jan-Egbert Sturm (55), Direktor der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Ob in der Finanzkrise 2008 oder bei der Abkoppelung des Frankens vom Euro 2015: Die Schweizer Industrie habe dank Nischenprodukten, Innovationskraft und Flexibilität immer wieder Krisen gemeistert. «Wenn es darauf ankam, hat die Schweiz gezeigt, dass sie ihre Prozesse und Partner schnell anpassen kann», so Sturm.