Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) muss zittern: Bei den Wahlen am 14. Mai könnte ihn Herausforderer Kemal Kilicdaroglu (74) nach zehn Jahren aus dem Amt verdrängen. Die Chancen dazu sind so gross wie noch nie. Bei den Umfragen führt Kilicdaroglu zurzeit sogar mit 48 Prozent gegen Erdogan mit 38 Prozent. Erreicht keiner das absolute Mehr, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl.
Das Resultat dürfte knapp werden – auch bei der Wahl des 600-köpfigen Parlaments. Daher zählt jede Stimme der rund 64 Millionen Wahlberechtigten, von denen rund 100'000 in der Schweiz leben.
Der Schweiz-Türke Aslan S.*, der regelmässig als Wahlbeobachter für die Erdogan-Opposition amtet, erwartet am kommenden Wochenende vor allem in Zürich einen Grossaufmarsch. Aus diesem Grund ist das Wahllokal vom Generalkonsulat in die Räumlichkeiten der «Messe Zürich» verlegt worden. Aslan S. sagt gegenüber Blick: «Es dürfte zu chaotischen Verhältnissen kommen.»
Anreise in Cars
Erfahrungen von früheren Wahlen zeigen, dass viele Wahlberechtigte in Cars anreisen. «Es wird lange Schlangen vor dem Stimmlokal und ein Verkehrschaos geben», meint Aslan S. Die Stimmung dürfte gereizt sein. «Viele wittern die Chance, Erdogan loszuwerden. Sie werden beim Anstehen auf Erdogan-Anhänger treffen.»
Für die Ordnung im und ums Messegebäude herum ist ein privater Sicherheitsdienst zuständig. Die Polizei wird ebenfalls Präsenz markieren. Pascal Siegenthaler (33), Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich, sagt gegenüber Blick: «Wir werden unter anderem mit dem Konsulatsschutz der Stadtpolizei Zürich vor Ort sein.»
Türken von Liste gestrichen
Gereizte Stimmung herrschte laut dem Erdogan-Kritiker schon am vergangenen Sonntag bei der Botschaft in Bern. «Ich musste mich – mit vielen andern – neu registrieren, weil wir aus unbekannten Gründen von der Liste der Wahlberechtigten entfernt worden waren», sagt Aslan S.
Die meisten der Leute, die stundenlang vor der Botschaft anstanden, seien Erdogan-Kritiker gewesen. Aslan S.: «Ich vermute, dass wir mit Absicht rausgeschmissen worden sind.» Die Botschaft wehrt sich gegen den Vorwurf. Auf Anfrage schreibt sie: «Die Behauptung, unsere Botschaft in Bern habe die Registrierung eines Wählers gelöscht, entbehrt jeder Grundlage.»
Die Türken in der Schweiz wählen in der Regel mehrheitlich gegen Erdogan. Denn viele von ihnen sind geflüchtete Kurden, die der türkische Präsident als Terroristen einstuft und verfolgt. Anders in Deutschland, wo die türkischen Wahlberechtigten mehrheitlich für Erdogan stimmen.
Was macht Erdogan bei einer Schlappe?
Bei einem Sieg Kilicdaroglus stellt sich die grosse Frage: Wird Erdogan seine Niederlage akzeptieren? Aslan S. glaubt nicht daran. «Die freundlichste Reaktion wäre, dass er Wahlbetrug geltend macht und die Wahlen wiederholen lässt.» Er schliesst nicht aus, dass Erdogan bei einer Niederlage sogar mit Gewalt versucht, in seinem Amt zu bleiben.
Erdogan tritt im Wahlbündnis «Volksallianz» mit seiner islamisch-konservativen AKP, der ultranationalistischen MHP, der nationalistisch-religiösen BBP sowie der islamistischen YRP an. Ein Teil der Opposition hat sich zum Bündnis «Sechser-Tisch» zusammengeschlossen, das von der grössten Oppositionspartei, der CHP, angeführt wird. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP verzichtet auf einen eigenen Kandidaten und stärkt damit das Oppositionsbündnis.
* Name bekannt