Ohne Impfpass wird das Leben in Italien stark eingeschränkt. Der Pass weist Geimpfte, Genesene und negativ Getestete aus - und gilt seit Mittwoch für den Besuch von Museen, Theatern, Freizeitanlagen. Tausende Italiener gingen gegen das Impfpass-Obligatorium auf die Strasse, skandierten in mehreren Städten «Nieder mit der Diktatur».
In Genua trugen Demonstranten gelbe Juden-Sterne mit der Aufschrift «ungeimpft» - Sterne, wie sie auch in Frankreich im Lager der Impfgegner zu sehen sind, die derzeit wie in Italien auf die Strasse gehen. Zehntausende Franzosen protestieren gegen einen bevorstehenden «Impfzwang», wie sie den geplanten Gesundheitspass nennen, den die Regierung jetzt im Eiltempo durchgesetzt hat.
Impfverweigerern droht Lohnkürzung
Ohne den sogenannten Grünen Pass, wie das EU-Corona-Zertifikat in Italien genannt wird, gibts ab dem 6. August auch keinen Zugang mehr zu geschlossenen Räumen wie Bars und Restaurants. Betreibern, die die Massnahmen nicht umsetzen, drohen empfindliche Strafen. Seit Bekanntgabe der Gesundheitspass-Massnahme hätten sich Buchungen von Impfterminen in gewissen Regionen verdoppelt, wie aus italienischen Behördenkreisen verlautet.
Einen ähnlichen Gesundheitspass hat jetzt Frankreich beschlossen. Die Regierung erachtet ein Gesundheitspass-Obligatorium als einzige Alternative zu neuen Ausgangssperren. Am späten Sonntagabend verabschiedete das französische Parlament mit 156 Ja-Stimmen, 60 Nein-Stimmen und 14 Enthaltungen die Impfpflicht für Mitarbeitende im Gesundheitswesen und die Ausweitung des Gesundheitspasses. Das Zertifikat ist künftig auch in Restaurants, Bars, Einkaufszentren und Fernzügen vorgeschrieben. Anders als von der Regierung vorgeschlagen, droht Impfverweigerern im Gesundheits- und Pflegewesen sowie Feuerleuten und Rettungskräften allerdings nicht die Entlassung, sondern eine Aussetzung des Lohns.
Für die Protestbewegung ist es systematische Diskriminierung, die Regierung nennen sie eine Diktatur. Neben gelben Sternen waren bei den Protestmärschen gegen ein Impfzertifikat-Obligatorium weitere Vergleiche mit der Judenverfolgung zu sehen. «Pass macht frei», stand auf einem Plakat in Anspielung an nationalsozialistische Konzentrationslager.
Macron geisselt «verantwortungslosen Egoismus»
Frankreichs Senat und Parlament haben das Thema im Eilverfahren durch ihre Kammern gepeitscht. Die Debatten waren hitzig und hart. Claire Hédon, Ombudsfrau für die Verteidigung der Grundrechte, warnte dabei vor einer Spaltung der Gesellschaft und unverhältnismässigen Massnahmen, die dazu führten, dass «ein Teil der Gesellschaft einen anderen Teil kontrolliert».
Der französische Präsident Emmanuel Macron (43) dagegen kritisierte die Demonstranten scharf. Die Impfung bleibe der wirksamste Schutz vor der Pandemie: «Was ist Ihre Freiheit wert, wenn Sie sagen, Sie wollen sich nicht impfen lassen, aber wenn Sie morgen Ihren Vater, Ihre Mutter oder mich anstecken?», sagte Macron auf seiner gegenwärtigen Tahiti-Reise. «Ich bin ein Opfer Ihrer Freiheit. Das ist keine Freiheit», fügte Macron an. «Das ist Verantwortungslosigkeit und Egoismus.»
Als Zugeständnis an Gegner gilt an Schulen kein Impfnachweis. In Kultur- und Sportanlagen soll der Gesundheitspass die Maskenpflicht aufheben.
Auch Deutschland warnt Ungeimpfte
Auch in Deutschland ist das Gesundheitspass-Thema politisch heiss umstritten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (67) schliesst ein Vorgehen wie in Frankreich und Italien aus. Aber ihr Kanzleramtsminister Helge Braun (48) stellt gegenüber «Bild am Sonntag» klar: «Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte».
Wenn Infektionen weiter ansteigen, dann könnten solche Schritte kommen. Trotz Testkonzepten müssten Ungeimpfte ihre Kontakte reduzieren. Das könne auch bedeuten, «dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist».
Drohungen erhalten Rückendeckung
Für seinen Vorstoss für Einschränkungen für Nicht-Geimpfte erhielt der CDU-Politiker Braun Rückendeckung von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (58): «Wir müssen leider mit deutlich steigenden Fallzahlen rechnen, wenn die Menschen aus den Ferien zurückkommen und sich im Herbst wieder verstärkt in Innenräumen begegnen», sagte Lauterbach der «Süddeutschen Zeitung» vom Montag.
Dann werde man «nicht mehr damit über die Runden kommen, die Getesteten den Geimpften und Genesenen gleichzustellen». Es werde «nichts anderes übrigbleiben, als den Zutritt zu Räumen, wo viele Leute eng zusammenkommen, auf Genesene und Geimpfte zu beschränken».
Auch Grünen-Chef Robert Habeck (51) zeigte sich offen dafür, Geimpften mehr Freiheiten zu geben als Nicht-Geimpften. «In dem Moment, wo allen Menschen ein Impfangebot gemacht worden ist, sieht Solidarität so aus: Man muss sich nicht impfen lassen, aber kann nicht damit rechnen, dass alle anderen auf ihre Freiheit verzichten, weil man sich nicht hat impfen lassen», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Kanzlerkandidat Laschet und FDP kontern
Diesen Meinungen hielt Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (60, CDU) entgegen. «Freiheitsrechte müssen für alle gelten, wenn man keine Impfpflicht will», sagte er etwas vage im ZDF-Sommerinterview. Er halte nichts von einer Pflicht – stattdessen müsse alles daran gesetzt werden, Menschen von einer Impfung zu überzeugen.
Ins gleiche Horn bläst die FDP. Ein mit Einschränkungen für Ungeimpfte drohendes Kanzleramt bedeute einen «klar verfassungswidrigen» Vorstoss, so FDP-Vize Wolfgang Kubicki (69), der Kanzleramtschef Braun eine «Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür» vorwirft. Parteichef Christian Lindner dazu im ARD-Sommerinterview: «Wenn von Geimpften, Genesenen und negativ Getesteten kein Risiko ausgeht, dann kann man für Genesene, Geimpfte und negativ Getestete auch keine Freiheitseinschränkungen mehr vorsehen.»
Die, während die Delta-Variante des Coronavirus die Zahl der Neuinfektionen im Land wieder ansteigen lässt und die Impfkampagne in Deutschland gleichzeitig nicht mehr gross vorankommt. Braun bis zur Bundestagswahl im September 100'000 Neuinfektionen täglich, wenn keine Sondermassnahmen ergriffen werden. Wenn die Impfquote nicht deutlich anziehe und Delta nicht gebremst werde, so Braun, sei mit einem Strategiewechsel der Politik in der Pandemiebekämpfung zu rechnen.