Darum gehts
Es war die teuerste Abstimmung aller Zeiten im Deutschen Bundestag. Das Parlament hat am Dienstag eine Neuverschuldung im Umfang von rund 1 Billion Euro bewilligt – für Rüstung, Infrastruktur und Klima.
Weil eine Änderung am deutschen Grundgesetz nötig war, wurde eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag benötigt. Diese wurde am Schluss erreicht mit 513 Ja- zu 207 Nein-Stimmen. Blick erklärt, was der historische Schulden-Showdown bedeutet – für Deutschland und ganz Europa.
Schuldenbremse ausgehebelt
Der Bundestag hat das Grundgesetz am Dienstag an mehreren Stellen geändert: Ausgaben für Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit fallen künftig nur noch teilweise unter die Schuldenbremse. Auch die Bundesländer erhalten mehr Spielraum für ihre eigene Verschuldung.
Zudem wird ein «Sondervermögen» für Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität geschaffen. Es wird von der Schuldenbremse ausgenommen und mit 500 Milliarden Euro aus Krediten gefüttert. Davon sind 100 Milliarden Euro für die Bundesländer bestimmt und weitere 100 Milliarden Euro für Massnahmen zum Klimaschutz. Dies war ein Zugeständnis an die Grünen, die als Mehrheitsbeschaffer unbedingt gebraucht wurden.
«Alter» Bundestag stellt Weichen für die Zukunft
Speziell war: Die neuen Schulden wurden noch vom «alten» Bundestag bewilligt, also auch von Parlamentariern, die bei den Wahlen im Februar abgewählt wurden. Grund dafür: Für die Änderungen am Grundgesetz brauchte es eine Zweidrittelmehrheit. Im neu gewählten Bundestag werden AfD und Linke gemeinsam eine Verhinderungs-Macht haben. Deshalb musste CDU-Chef Friedrich Merz (69) das Schuldenpaket noch in der alten Zusammensetzung durchpeitschen – was in der Debatte heftig kritisiert wurde.
«Wortbrecher», «Umfaller»: Mit dem riesigen Schuldenpaket hat Merz, der nächste Kanzler, seine Versprechen aus dem Wahlkampf gebrochen, wo er auf die Einhaltung der Schuldenbremse gepocht hatte.
Lars Klingbeil (47), Chef des nächsten Regierungspartners SPD, hat sich als starker Verhandler gezeigt. Er war am Dienstag der grösste Gewinner. Trotz schlechtem Wahlergebnis konnten die Sozialdemokraten der Union viele ihrer Pläne aufzwingen.
«Union macht linksgrüne Politik»
«Es wird eine von der Union geführte Regierung, die eine linksgrüne Politik macht», sagte Ulf Poschardt (57), Herausgeber der «Welt», im TV-Kanal der Zeitung. Die Frustration an der Basis der Unionsparteien CDU und CSU sei riesig.
Im Bundestag ätzte Alexander Gauland (84) am Rednerpult gegen Merz. «Um ins Kanzleramt einzuziehen, haben Sie alles geopfert, was an der CDU noch konservativ war», so der AfD-Vertreter. «So schnell ist noch selten bürgerlicher Anstand durch politischen Zynismus ersetzt worden.»
Europäer übernehmen Verantwortung
«Wir Europäer müssen erwachsen werden, wir müssen Verantwortung übernehmen», sagte dagegen SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius (65). «Bedrohungslage steht vor Kassenlage.» Mit den neuen Schulden werde nicht die Zukunft verkauft, sondern gesichert. «Deutschland fährt auf Verschleiss», sagte Pistorius. Deshalb brauche das Land dringend Investitionen.
Am Freitag muss auch noch im Bundesrat, der zweiten Kammer, die Hürde von zwei Dritteln der Stimmen genommen werden. In der Länderkammer scheint diese Mehrheit aber gesichert. Der im Februar neu gewählte Bundestag wird dann in einer Woche, am 25. März, erstmals zusammentreten.
Starkes Signal nach aussen, Probleme im Innern
Nach aussen hin ist das Finanzpaket ein starkes Signal: Deutschland reagiert auf die veränderte Weltlage und übernimmt Verantwortung für Europa. Eine gewisse Emanzipation von den USA in Sicherheitsfragen könnte so umgesetzt werden.
Innenpolitisch ist der Entscheid jedoch heikel: Die Glaubwürdigkeit von Friedrich Merz ist beschädigt, bevor er das Kanzler-Amt angetreten hat. Dies könnte die politischen Ränder in Deutschland weiter stärken. Und wo sich Merz im Wahlkampf noch für sparsames Haushalten ausgesprochen hatte, sollen nun viele Probleme mit neuen Schulden zugeschüttet werden. Das werden kommende Generationen bezahlen müssen.