Wenn westliche Truppen in der Ukraine kämpfen, wird Russland mit einer nuklearen Eskalation reagieren. Das hat Kremlchef Wladimir Putin (71) in den vergangenen zwei Jahren immer wieder deutlich gemacht. Kein Wunder also ist das Thema für alle europäischen Staatsmitglieder ein absolutes Tabu. Bis jetzt!
«Die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine kann nicht ausgeschlossen werden», sagte Emmanuel Macron (46), französischer Staatspräsident, nach einem spontanen EU-Gipfel am Montag. Denn die Lage in der Ukraine sei so kritisch, für Europa stehe so viel auf dem Spiel, dass man alles daran setzen müsse, den Krieg zu beenden. Dieser Sinneswandel ist bemerkenswert – und könnte den Krieg komplett verändern.
Scholz erteilt Macron eine Absage
In einer Rede vor fast zwei Jahren sagte Macron noch, Europa dürfe «niemals der Versuchung der Demütigung oder dem Geist der Rache nachgeben», wenn es um die russische Invasion in der Ukraine gehe, «denn diese haben in der Vergangenheit schon genug Schaden auf dem Weg zum Frieden angerichtet». Am Montag behauptete er das Gegenteil.
Auch eine Vielzahl anderer Länder haben sich vor zwei Jahren noch vehement gegen Waffenlieferungen gewehrt. Darunter auch Deutschland, das sich während Monaten sogar weigerte, Schutzhelme an die ukrainischen Truppen zu liefern. Heute, zwei Jahre nach Ausbruch des Krieges, ist Deutschland nach den USA der grösste militärische Unterstützer der Ukraine.
Das weiss Macron – und er merkt berechtigterweise an: «Dieselben Leute, die heute sagen ‹Keine westlichen Truppen in der Ukraine!› sind dieselben, die noch vor zwei Jahren sagten: ‹Keine Panzer, keine Kampfjets, keine Langstreckenraketen in der Ukraine!›»
Laut Macron gibt es zwar noch «keinen Konsens» für eine offizielle Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine. Doch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz erteilt Macron am Dienstag eine Absage. «Klar ist: Es wird keine Bodentruppen europäischer Staaten oder der NATO geben. Das gilt», schreibt er auf X.
Überschreitet der Westen eine rote Linie?
Die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine wäre ein Tabubruch von immensem Ausmass. Der Krieg, der sich bisher auf die Ukraine beschränkt, würde sich wohl auf weitere Staaten ausweiten, wenn man Putins wiederkehrenden Drohungen Glauben schenkt. Und das atomare Damoklesschwert würde mit einer solchen Entscheidung tiefer über Europa hängen als je zuvor.
Auch Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen, hält gegenüber Blick fest: «Drittstaaten, die eigene Soldaten in die Ukraine schicken, würden damit zu einer Kriegspartei. Das war bisher eine rote Linie, die auch vom Westen nicht überschritten wurde.» Als tatsächliche Kriegspartei macht man sich zudem zum Ziel für Angriffe Russlands auf das eigene Land.
Kreml reagiert auf Macron-Aussage
Der Kreml hat Gedankenspiele zum Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine scharf kritisiert. Eine Entsendung von Truppen mache einen Konflikt zwischen Russland und der Nato nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge.
Der Westen müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Folgen nicht seinen und schon gar nicht den Interessen seiner Bürger entsprächen, fügte er hinzu.
Europa hat es endlich verstanden
In der Umkehrung kann man aber auch fragen: Hat Europa endlich kapiert, was auf dem Spiel steht? «In vielen Staaten verbreitet sich die Einsicht, dass ein militärischer Erfolg Russlands in der Ukraine auch die Glaubwürdigkeit der eigenen Verteidigung beeinträchtigen würde», sagt Experte Ulrich Schmid.
Laut Macron geht es nicht nur um das Überleben der Ukraine, sondern auch um die Freiheit Europas. «Wir sind davon überzeugt, dass die Niederlage Russlands für die Sicherheit und Stabilität Europas unerlässlich ist», sagte Macron und schliesst damit die 25 anwesenden EU-Staatsoberhäupter in seiner Aussage mit ein. Vielleicht also geht es bei der Aussage Macrons genau darum: Putin zu beweisen, dass man keine Angst vor ihm hat.