«Die Zuversicht ist bei den Ukrainern verschwunden»
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«Zuversicht ist verschwunden»:Blick-Auslandreporter über die Situation an der Front

Ihre 6 grössten Fehler und wie sie daraus gelernt haben
So haben die Russen das Blatt in der Ukraine gewendet

Zu Beginn reihte sich bei den Russen Pleite an Pleite. Inzwischen haben sie ihre Strategie in der Ukraine angepasst und sind auf dem Vormarsch. Wie weit werden sie dieses Jahr kommen? Eine Einschätzung.
Publiziert: 23.02.2024 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 23.02.2024 um 20:33 Uhr
An mehreren Frontabschnitten in der Ukraine sind die Russen auf dem Vormarsch.
Foto: DUKAS
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Guido FelderAusland-Redaktor

Die vergangenen beiden Jahre hatten die Ukrainer die russischen Invasoren überraschend gut im Griff. Sie nutzten die vielen Fehler der völlig überschätzten Armee aus. Massive Rückschläge wie jener mit 65 Toten am Dienstag in Donezk sind auf russischer Seite zu Einzelfällen geworden. 

Moskau hat aus den vielen Pleiten gelernt! Blick zeigt, welche falschen Strategien die Russen eingeschlagen hatten und mit welchen Lehren daraus sie das Blatt im brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine wenden konnten. 

Die Fehler 

Unterschätzte Ukraine – Es ist der grösste Fehler, den die Russen gemacht haben. In den Jahren seit der Annexion der Krim 2014 haben die Ukrainer massiv aufgerüstet und Personal ausgebildet. Zudem wurden sie durch die Nato auf eine mögliche Invasion vorbereitet. 

Beschönigende Information – Die Informationen von der Front zum Kreml flossen schlecht. Nach der Invasion rühmte der Geheimdienst die angeblichen Fortschritte im Feld, was zu fehlerhaften Befehlen von höchster Ebene führte. 

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Den Ukrainern gelang es, die Kertsch-Brücke zu beschädigen.
Foto: keystone-sda.ch

Chaotische Angriffe – In der Meinung, der Stärkere zu sein, fuhren ungeschützte Panzerkolonnen in ukrainische Hinterhalte. Es fehlte an einer Koordination, selbst innerhalb der einzelnen Truppen. Die ersten beiden Monate gab es nicht einmal ein einheitliches Oberkommando.

Verheizte Anfänger – Der Kreml hat viele Anfänger an die Front geschickt, die teilweise keine militärische Ausbildung hatten. Fehlmanipulationen rissen viele in den Tod, etwa eine versehentlich gezündete Handgranate in einem Soldatenwohnheim in Belgorod. 

Falsche Sicherheit – Lange wähnten sich die Russen auf ihrer Seite der Frontlinie in Sicherheit. Mit den modernen Himars gelangen den Ukrainern erfolgreiche Schläge, etwa auf Munitionsdepots. Oft gab es viele Tote, weil Soldaten in der Nähe der Depots untergebracht wurden, um ihnen die Nutzung von Mobiltelefonen zu ermöglichen. 

Schlechter Flottenschutz – Die russische Marine war lange nur damit beschäftigt, vom Schwarzen Meer aus die Südukraine anzugreifen. Die Verteidigung der Flotte vernachlässigten sie. Den Ukrainern gelang es, mit Raketen und Drohnenbooten Schiffe zu versenken und die Kertsch-Brücke schwer zu beschädigen. 

Russen kommen in Massen

In den zwei Jahren Krieg, den die Russen angezettelt hatten, bekamen sie die Härte und Cleverness der motivierten ukrainischen Truppen zu spüren. Doch die Angreifer haben gelernt. Mauro Mantovani (60), Stratege an der ETH-Militärakademie, sagt: «Die russische Armee hat die Initiative zurückgewonnen, weil sie an Menschen und Material mehr Masse auf das Gefechtsfeld bringt und bereit ist, mehr Eigenverluste in Kauf zu nehmen.» Symbolträchtig hierfür sei der Fall der ostukrainischen Stadt Awdijiwka.

Russland kann wesentlich mehr Personal rekrutieren und ausbilden und hat inzwischen viermal mehr Truppen in der Ukraine als bei der Invasion, als es rund 150’000 Soldaten waren. Auch die russische Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren. 

Dank ihr und den Lieferungen von Drohnen aus dem Iran und Artilleriemunition aus Nordkorea konnte Moskau das Waffenarsenal ausbauen und die Kampfzonen verstärken. Mantovani: «Bei der Artilleriemunition sind die Russen den Ukrainern fünf- bis zehnfach überlegen, was die tiefere Trefferquote kompensiert.»

Bessere Taktik

Die Vorteile für Russland hätten aber auch mit taktischer und technischer Anpassung zu tun, sagt Mantovani. Zu Beginn des Kriegs habe sich die russische Armee stark auf taktische Bataillonsgruppen und Spezialkräfte sowie an gewissen Orten auf die Wagner-Söldner gestützt, die zentral mit «Befehlstaktik» geführt wurden. Den dominierenden Kampf im urbanen Gelände führten heute jedoch kleinere Verbände in Kompaniestärke, die dafür mit «Auftragstaktik» grössere Freiheit genössen. 

Bei der defensiven Taktik hätten sich Befestigungsanlagen entlang der Frontlinie in der Südukraine bewährt, sagt Mantovani. «Damit konnten die Russen im vergangenen Jahr die ukrainische Sommeroffensive vereiteln.» Hinzu komme, dass der Schutz von Fahrzeugen und elektronischen Systemen verbessert wurden, ebenso wie die Fähigkeit, die ukrainische Kommunikation zu stören und etwa ukrainische Drohnen zu bekämpfen. 

Europa infiltrieren

Aber auch ausserhalb des Kampfgebiets passen die Russen ihre Strategie an. Ausgebaut wird der Rekrutierungs-, Ausbildungs- und Unterstützungsapparat, um europäische Länder besser infiltrieren zu können. Das schreibt das britische Royal United Services Institute. Weitere Massnahmen seien aggressive Partnerschaften mit afrikanischen Ländern sowie die Instrumentalisierung des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow (47), um den Einfluss auf Muslime in Europa und im Nahen Osten auszuweiten. 

«Nach zwei Jahren Krieg hat Russland in der Ukraine Oberhand gewonnen», bilanziert Mauro Mantovani. Nebst den russischen Anpassungen habe dies auch mit der nachlassenden Unterstützung des Westens und der Abnützung der angegriffenen Ukrainer zu tun. Der Strategieexperte prognostiziert: «Wenn die US-Unterstützung versiegt, ist im dritten Kriegsjahr mit russischen Gebietsgewinnen weit über die besetzten vier Provinzen hinaus zu rechnen.»

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